Inselwaechter
für die Befragung für wichtig hielt. »Viel Spaß mit Onkel Freud«, flüsterte sie, bevor sie ging.
*
Schielin nahm an der breiten Seite des Tisches Platz. Grohm saß gegenüber. Wenzel setzte sich an der Stirnseite hin, nachdem er sich vorgestellt hatte. Schielin schlug Lydias Aktenhefter auf und fand ihre handschriftlichen Notizen vor, die er aufmerksam las und ein paar eigene Punkte hinzufügte, bevor er sie an Wenzel weiterreichte.
Lydia hatte die aus ihrer Befragung stammenden wesentlichen Punkte für Schielin zusammengefasst: dass Grohm eine Professur abgelehnt hatte, der Name Sebald für einen inzwischen verstorbenen Studienfreund Grohms stand, der die Kanzlei mitgegründet hatte, und dass Sebalds Nichte – Agnes Mahler – nach dessen Tod in die Kanzlei eingetreten war und mit ihren neuen Ideen offensichtlich für Unruhe gesorgt hatte. Lydia hatte im unteren Teil des Blattes sogar eine Skizze eingezeichnet. Ein markantes Quadrat, darunter drei Kreise, zu denen Doppelpfeile vom Quadrat her zeigten. Das Quadrat stand für Grohm und unter den Kreisen stand lapidar: drei Frauen. Ein weiterer vierter, kleinerer Kreis hing abseits und war nur durch eine einfache Linie in Bezug zum Quadrat gesetzt. Schielin brauchte einen Moment, in welchem er umständlich mit dem Aufnahmegerät hantierte, um zu verstehen, dass damit Grohms Ehefrau gemeint war. Eine vierte Frau also.
Er begann konzentriert und mit einer sorgfältig dosierten Brise Aggression in der Stimme: »Herr Grohm. Wir wollen diesen Sonntagvormittag nicht länger werden lassen als erforderlich.«
Grohm vollzog mit seiner Linken eine gelassene Geste, die Einverständnis signalisierte. Er saß geerdet auf dem polsterlosen Stuhl, beide Beine auf dem Boden und die Hände gefaltet auf der Tischplatte vor sich. Eine zugleich konzentrierte wie entspannte Haltung.
»Sie sind verheiratet«, stellte Schielin fest und blätterte suchend in der Akte.
»Verheiratet, zwei erwachsene Töchter«, ergänzte Grohm.
»Ihre Frau ist nicht mit nach Lindau gekommen?«
»Nein. Sie ist mit unserer jüngeren Tochter in London. Kaja, unsere ältere Tochter, studiert in den Staaten.«
»Ich könnte mir vorstellen, Sie wären jetzt lieber mit Ihrer Familie in London, anstatt hier zu sitzen«, meinte Wenzel, der es so sagte, dass es weder anheischig noch sarkastisch klang.
»Es genügt, wenn meine Kreditkarte in London dabei ist«, erklärte Grohm emotionslos.
Wenzel und Schielin nahmen die ungewöhnlich offen gegebene Information ohne Regung auf.
»Hatten Sie ein Verhältnis mit Agnes Mahler, Herr Doktor Grohm?«, lautete Schielins nächste Frage.
An Grohm war keine Veränderung zu bemerken. Er variierte weder seine ernste Miene noch wechselte er die Sitzposition. Die Füße blieben ruhig am Boden, die Hände unverändert auf der Tischplatte. Nicht ein Zucken oder Blinzeln lief über sein Gesicht, kein Finger bewegte sich. Mit ruhiger Stimme, der kein Schwingen, nicht die geringste Unsicherheit anzumerken war, antwortete er: »Sie können den Doktor gerne weglassen. Die Anrede mit Herr Grohm genügt mir und was Ihre Frage anbelangt: Wir standen uns vor einiger Zeit sehr nahe, ja.«
Schielin schrieb etwas in sein Notizbuch. Es wäre im Grunde nicht nötig gewesen, da ja das Band mitlief. Diese so unscheinbare Handlung aber verschaffte den zwar kurzen, jedoch erforderlichen Augenblick, um seine Wahrnehmungen zu reflektieren, ohne dass es als solches aufgefallen wäre. Die so unbedeutende Handhabung des Stiftes füllte die Zeit mit etwas Sinnvollem und Nachvollziehbarem. Schielin überlegte, wie er mit Grohm weiterverfahren sollte, denn der vermittelte einen so sicheren Eindruck, dass es keinen Sinn machte zu versuchen, ihn mit seinen Beziehungsgeschichten unter Druck setzen zu wollen. »Wie würden Sie Frau Mahler beschreiben, was war sie für ein Mensch?«, lautete die nächste Frage, immer noch den Stift auf dem Papier und den Blick nach unten gesenkt.
Grohm sog laut Luft durch die Nase ein. Sein Kinn hob sich ein wenig dabei. Es wirkte genervt und arrogant, und als er sprach, klang es, als müsste er den beiden Polizisten etwas erklären, was sie niemals wirklich verstehen würden: »Na ja, es ist Ihr Beruf. Sie müssen Fragen stellen. Leider haben Sie Frau Mahler nie in der Schönheit ihres Lebens erleben können. Sie war ein auffallend gut aussehender Mensch, das war sie ganz sicher. Dazu immer passend gekleidet. Sie pflegte einen Stil zurückhaltender Eleganz …
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