Inselwaechter
Ahnung, wie das genau zusammenhing.« Sie unterbrach und überlegte. »Danach waren wir zum Abendessen nur ein paar Meter weiter oben, in der Fußgängerzone, gleich um die Ecke. Wir saßen draußen, sehr schön, so mittendrin im sommerlichen Leben. Leute liefen vorbei, Geschirr klapperte, Gespräche, Gemurmel, die Geräusche von Umtriebigkeit aus der Ferne. Eine so wunderbare Urlaubsstimmung.«
»Vermutlich im Sünfzen«, sagte Lydia, »und wer ist wir?«
»Sünfzen! Genau, so hieß es. Grohm kennt sich hier ja bestens aus. Wir drei waren zusammen beim Essen. Danach sind wir zurück ins Hotel und haben später noch ein Glas Wein auf der Terrasse getrunken.«
»Ich bin erst am Samstag zum Frühstück wieder mit den anderen beiden zusammengetroffen. Das war so gegen acht Uhr.«
»Ist Ihnen diese explizite Trennung von Agnes Mahler nicht eigenartig vorgekommen?«
»Tja … es war mir schon ein wenig unangenehm, weil die Stimmung angespannt war. Aber ich dachte, in dem Gespräch würde sich alles klären.«
»Wie haben Sie vom Tod Frau Mahlers erfahren?«
»Ich war mit Herrn Grohm auf der Insel unterwegs. Wir waren gerade auf dem Markt, da hat ihn Melanie Schirr auf dem Handy angerufen. Er hat mir völlig entsetzt mitgeteilt, Melanie habe behauptet, Agnes sei tot. Ermordet worden. Wir sind dann sofort zurück zum Hotel und dort auf eine völlig aufgelöste Melanie Schirr getroffen. Sie war in schrecklicher Verfassung. Es ging nicht anders, als dass wir ihr ein Medikament gaben – zur Beruhigung.«
»Mhm. Woher wusste Frau Schirr von dem Geschehen?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Keine Ahnung.«
»Sie haben Sie nicht danach gefragt?«
»Nein.«
»Es war also ausgeschlossen, dass Frau Schirr fantasierte?«
Claire Wilms sah vorwurfsvoll auf. »Nein! Sie ist keine hysterische Person, die eine solche Geschichte erfinden würde, um Aufmerksamkeit für sich zu generieren.«
»Wie muss man sich diese Kanzlei vorstellen? Wer tuschelt denn da beim Kaffee, am Kopierer? Sie sagten vorhin, Sie hätten einiges beim Kaffee und am Kopierer erfahren. Ich kann mir das schlecht mit Ihnen, Herrn Grohm und Frau Schirr vorstellen.«
»Das ist in der Tat schlecht vorstellbar. Wir haben natürlich Angestellte. Frau Schachtmeister ist unsere Büroleiterin, die sich um alle Formalitäten kümmert. Schriftverkehr, Verwaltung. Sie ist schon eine Ewigkeit in der Kanzlei, soweit ich weiß. Dann sind da noch einige Assistentinnen. Es ist nicht so, dass wir jeder eine Assistentin hätten. Das ist in der Kanzlei unerwünscht, um gruppendynamische Irritation zu verhindern.«
»Vertrauensinseln innerhalb der Kanzlei sind also unerwünscht.«
»Ja, so in etwa.«
Lydia Naber hatte einige Notizen gefertigt. Im Moment bestanden keine Fragen mehr; Claire Wilms wurde in den Sonntag entlassen.
*
Zwei Zimmer weiter saß bereits Melanie Schirr mit gesenktem Kopf am Tisch. Schielin und Wenzel hatten es schwer mit ihr, denn es gelang den beiden nicht dieses flüchtigen Charakters habhaft zu werden. Glaubten sie, ein Werkzeug gefunden zu haben, wechselte ihr Gegenüber ihr Äußeres wie Inneres und machte es unbrauchbar. Auf die gestellten Fragen antwortete sie ausweichend, dann wieder kontrolliert ungenau, stellte plötzlich Gegenfragen, bat um Präzisierung und Erläuterung der Frage, die eindeutiger nicht zu stellen war. Manchmal wussten Schielin und Wenzel, in diesem Dickicht aus Verneinung, Verzögerung, Ablehnung und Verwerfung selbst nicht mehr, welche Frage zuletzt gestellt worden war. Doch die beiden resignierten nicht angesichts der Guerillataktik ihres Gegenübers. Es war vielmehr eine heilsame Lektion darüber, was Vorurteile bewirken können. Die schräge Aufmachung, das hagere, bleiche Erscheinungsbild, in dem vermeintlich alle Hysterie und Verrücktheit einer insgesamt instabilen Gemütsverfassung nach außen zu wirken schienen, dieser äußere Eindruck hatte es fertiggebracht auch sie, die sie doch erfahrene Ermittler waren, darüber hinwegzutäuschen, dass hinter dieser kruden Fassade eine intelligente, zähe, gehärtete und standhafte Persönlichkeit steckte.
Auf die Frage Schielins, worüber sie mit Agnes Mahler gestritten hätte, setzte sie diesen sogleich mit der Antwort matt, dass ihre Frisur der Anlass für den Händel gewesen sei. Nur die Frage Wenzels, woher sie von dem Mord an Agnes Mahler wissen konnte, brachte sie für kurze Momente zum Überlegen. Sie behauptete, mit Agnes Mahler zum Frühstück verabredet
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