Inselwaechter
schwierig zu erklären.«
*
Schielin hatte Gommi auf dem Weg in dessen Büro mit schnellen Schritten überholt und schnappte sich gierig den Telefonhörer.
»Es ist schwierig zu erklären«, waren die ersten Worte, die er von Jasmin Gangbacher zu hören bekam.
Gleich nach dem Telefonat informierte er Kimmel über die neuen, überraschenden Informationen und ging zurück ins Vernehmungszimmer. Dort schob er Lydia Naber seinen Notizzettel zu und richtete sich an Dohmen: »Es ist doch völliger Unsinn, was Sie hier treiben.« Mit einer energischen Handbewegung unterband er den Ansatz des Angesprochenen zu antworten. »Haben Sie eine Vorstellung davon, wo Ihr Sohn sein könnte. Und kommen Sie mir nicht mit Neuseeland. Ich spreche von Ihrem Sohn Bernd, der am Freitag mit dem Boot in die Schweiz gefahren ist – und seitdem verschwunden ist.«
Dohmen saß mit offenem Mund da. Robert Funk nahm den Notizzettel von Lydia entgegen und las interessiert. Riebers Blick machte deutlich, dass er derjenige war, der über die allerwenigsten Informationen verfügte. Für einen Anwalt die denkbar schlechteste Position.
Schielin fuhr fort. »Wir haben Ihre Frau befragt. Sie ist in großer Sorge. Was genau hat Ihr Sohn gesagt, als er sie am Samstagmorgen angerufen hat?«
Dohmen benötigte eine Weile. Erst wollte er aufbegehren, denn sein erster Reflex sagte ihm, dass er hintergangen worden war. Diese miesen Kerle hatten also seine Frau vernommen, während er hier saß und schwitzte, waren in seinem Haus gewesen. Es regte ihn auf. Doch die Situation hatte ihm bisher zu viel an Kraft abverlangt. Er sah in die Runde und ließ es sein, sich gegen diese Staatsdiener zu wehren. Viele Hunde sind des Hasen tot, ging ihm dieser dumme, wie manchmal wahre Spruch durch den Kopf. Er sagte: »Er hat nichts getan, hat er mir gesagt. Er hat nichts getan.«
Lydia Nabers Stimme klang weich. »Er hat Sie also angerufen und gesagt, dass er nichts getan hat. Wissen Sie auch, worauf sich das bezog?«
Dohmen nickte und sah zu Rieber. Kein Anwalt ist teurer als ein Anwalt, lautete ein anderer Spruch, der ihm einfiel. »Bernd sagte, er hätte der Frau nichts getan.«
»Mehr nicht?«, fragte Lydia.
»Nein.«
»Und seitdem ist er verschwunden?«
»Ja. Wir haben überall angerufen, alle Freunde, überall. Nichts. Sein Handy ist ausgeschalten. Er ist einfach verschwunden.«
»Wie alt ist Ihr Sohn?«
»Zweiundzwanzig.«
Lydia Naber schob den Notizblock über den Tisch. »Notieren Sie bitte alle Namen, Adressen, Telefonnummern, die in irgendeinem Bezug zu Ihrem Sohn stehen könnten. Wir brauchen das.«
Kurz darauf veranlassten sie die Ortung des Handys und die Überwachung der privaten Anschlüsse von Dohmen. Die Fahndung nach Bernd Dohmen war angelaufen, noch bevor sein Vater die Dienststelle mit langsamen, schweren Schritten verlassen hatte.
*
Wenzel saß lange im Lindauer Hof und war in der Vergangenheit unterwegs. Erlebnisse, Begegnungen, Gefühle – ja sogar Gerüche – kamen unvermittelt in sein Bewusstsein. Es waren Erinnerungen, von denen er gemeint hatte, sie könnten nicht mehr existieren. Ein Teil war auf natürliche Weise in die dunklen Kammern des Vergessens gesunken, ein anderer Teil war durch harte Arbeit, wache Nächte, erregte Gemütslagen und aktive Verdrängung dorthin verbannt worden. Nun war es, als hätte sich durch die Begegnung mit dem alten Zychner eine alte, knarrende Tür geöffnet. Zigmal durchlebte er die Sekunden vor und nach seiner Attacke auf Zychner, diesen undenkbaren Exzess, der alles verändert hatte und ihn heute noch schaudern ließ. Es war, als befände er sich wieder auf der Schulbank; das unbequem harte Holz und der Druck der Lehne im Rücken waren zu spüren, genau wie damals, als er aufgesprungen war. Dann der feste, raue Stoff von Zychners Anzug, wie ihn die Fingerspitzen gespeichert hatten. Und die Stille danach, im Klassenzimmer. Diese entsetzte Stille. Alle hatten gespürt, dass etwas geschehen würde. Keiner aber hatte eine solche Szene erwartet. Undenkbar.
Wenzel lachte bitter auf und kam dadurch zurück in die Gegenwart. Jetzt war jetzt, und er saß im Lindauer Hof. Viele Jahre waren vergangen, er war ein erwachsener Mann geworden und es ging ihm gut. Diese Prognose hatte damals keiner der Erwachsenen zu stellen gewagt. Der Direktor hatte mit ihm geredet, als wäre jeder Buchstabe, jedes Wort, ein Ding, das er zerbeißen müsste, dass es ja nicht heil, sondern zerbrochen und schon in Trümmer
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