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Inselzauber

Inselzauber

Titel: Inselzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Engelmann
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zusätzlichem Honorar herausgeholt habe. Nele ist überglücklich und strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Nachdem sie mich umarmt hat und mit mir singend durch die Küche getanzt ist, spendiert sie Blairwitch in ihrem Überschwang zwei große Garnelen.
    »Nanu, was ist denn hier los?«, fragt Leon, der plötzlich in der Küche steht. »Draußen war keiner, und da ich dringend einen doppelten Espresso brauche, dachte ich, ich sehe mal nach, wo du steckst«, erklärt er und sieht uns beide neugierig an.
    »Ach was, Espresso«, ruft Nele und öffnet den Kühlschrank. »Du kannst einen doppelten Champagner haben, wenn du willst. Mit Kaffee geben wir uns heute nicht zufrieden, nicht wahr? Wir stoßen darauf an, dass ich ab heute eine echte Buchillustratorin bin und Lissy bis September auf Sylt bleiben wird.«
    »Aber das sind ja wundervolle Neuigkeiten«, ruft Leon und küsst Nele links und rechts auf die Wange, woraufhin sie reflexartig zurückweicht. »Bea ist sicher überglücklich wegen deiner Entscheidung?«, fragt er dann mich, was ich bejahe.
    Ich habe noch am selben Abend, als Nele und ich wieder auf Sylt eingetroffen sind, im Krankenhaus angerufen, um ihr meine Entscheidung mitzuteilen. Zum Glück war meine Tante noch wach und ich hatte zumindest am Telefon den Eindruck, dass es ihr ein kleines bisschen bessergeht. Erst recht, als ich ihr gesagt habe, dass ich auf Sylt bleiben werde. Ich konnte förmlich spüren, wie am anderen Ende der Leitung der Stein der Erleichterung zu Boden fiel. Die Situation muss meine Tante weit mehr belastet haben, als ich es geahnt habe.
    »Ich danke dir, Kindchen«, hat sie mit leiser Stimme geflüstert.
    Trotz aller Bedenken im Hinblick auf meine ungewisse Zukunft war ich in diesem Moment sicher, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.
    »Dann nochmals herzlich willkommen auf Sylt, Lissy. Das gibt uns beiden übrigens die Gelegenheit, unser Strandpicknick bei wärmerem Wetter zu wiederholen, wenn du magst«, schlägt Leon vor.
    Ich lächle zustimmend und bete nur inständig, dass es Bea bis dahin wieder bessergeht.

    Am späten Nachmittag erhalte ich von Vero den Anruf, den ich so gefürchtet habe. Die Ärzte haben entschieden, meine Tante in ein künstliches Koma zu versetzen, um ihrem Körper die Möglichkeit zu geben, sich in dieser Form des Tiefschlafs zu regenerieren und den Kampf mit dem Erreger konzentriert aufzunehmen.
    Ich bewundere Vero, dass sie – zumindest am Telefon – gelassen mit der Situation umgeht, während ich selbst schon wieder nicht mehr klar denken kann. Ich setze Birgit Stade von der neuesten Entwicklung in Kenntnis und melde mich bis zum Ladenschluss ab, weil ich jetzt nicht die Kraft habe, so zu tun, als sei nichts. Zu Hause lege ich mich ins Bett und weine, bis ich vor Erschöpfung einschlafe.
    Von Alpträumen geplagt, wache ich am Abend auf und weiß plötzlich, was ich zu tun habe: Ich lasse Timo kurz in den Garten, stelle ihm seinen Futternapf hin und mache mich dann auf den Weg. Auf den Weg zur Kirche St. Severin.
    Schon von weitem kann ich den Turm sehen, wie er in der Abenddämmerung erstrahlt. Wie die Leuchttürme, die einst Seefahrern in stürmischen Nächten den Weg gewiesen haben. Momentan fühle ich mich selbst wie ein schlingerndes Schiff, das vom Kurs abgekommen ist und wieder Orientierung benötigt. Ich öffne die Pforte zum Friedhof, der am Fuße der Kirche liegt, und wehre mich gegen den Gedanken, dass ich dort womöglich bald meine Tante werde begraben müssen. Ich passiere die Grabsteine, ohne ihnen einen Blick zu schenken, und bete inständig, dass die Kirche geöffnet haben möge.
    Ich habe Glück und kann das Gotteshaus ungehindert betreten, in dem es kühl ist und ein wenig modrig riecht. Der Altar ist geschmückt mit einem riesigen Strauß weißer Lilien, deren strenger Duft sich mit der Feuchtigkeit mischt, die in der Luft liegt. Ich wähle die erste Reihe und knie mich auf die kalte, harte Holzbank. Dann schließe ich die Augen und halte Zwiesprache mit Gott, wie ich es zuletzt als Kind getan habe, als meine Eltern beerdigt wurden. Ich erzähle ihm von meiner Tante, von ihren Plänen, ihrem Lebenshunger, von ihrer Güte und davon, dass sie zeit ihres Lebens immer für andere da war.
    »Bitte lass nicht zu, dass sie stirbt«, flehe ich stumm und betrachte eine Marienstatue am Altar. »Bitte lass Bea ihr Leben zu Ende leben. Nimm sie mir nicht. Ich habe schon so viele Menschen verloren, die ich liebe. Bitte lass mir wenigstens

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