Inselzauber
schmückt. Es ein Bild von August Macke, entstanden bei einem seiner zahlreichen Aufenthalte in Tunis. Momentan erscheint es mir fast zynisch, ausgerechnet hier das Dokument einer Reise zu sehen, wo doch genau eine solche Bea Unglück gebracht hat.
»Was bedeutet das im Klartext?«, frage ich, obwohl ich mir die Antwort im Prinzip selbst geben kann. »Was wird dann aus der Bücherkoje?«
Wieder wechseln Vero und Bea Blicke, und ich ahne, worauf das Ganze hinauslaufen wird.
»Da ich vermutlich mindestens ein halbes Jahr nicht werde arbeiten können, müssen wir entweder eine Buchhändlerin einstellen, oder aber du entschließt dich, deinen Aufenthalt auf Sylt zu verlängern. Natürlich würde ich mich sehr freuen, wenn du bleiben könntest, aber ich möchte dich auf gar keinen Fall unter Druck setzen. Wenn du wieder zurück nach Hamburg willst, verstehe ich das voll und ganz. Für diesen Fall werde ich Frauke Feddersen aus der Bücherstube in Kampen den Job anbieten. Sie fühlt sich dort unwohl und würde sich bestimmt darauf freuen, in der Bücherkoje zu arbeiten. Ob du bleiben willst, entscheidest allein du, und du weißt, es ist mir am wichtigsten, dass es dir gutgeht und du dich wohl fühlst!«
Ein halbes Jahr länger auf Sylt?, überlege ich und bin ein wenig verunsichert. Zunächst denke ich natürlich an meinen Job im Hotel. Ob ich ihn behalten kann, wenn ich mir insgesamt ein Dreivierteljahr Auszeit nehme? Und will ich eigentlich wirklich zurück ins Hotel? Will ich überhaupt wieder zurück nach Hamburg?
»Denk einfach in aller Ruhe darüber nach, was du möchtest, das hat ja keine Eile. Momentan sitze ich hier sowieso noch fest«, sagt meine Tante, und ich nicke.
»Lissy, kommst du bitte mal kurz«, ertönt auf einmal Veros Stimme vom Gang – ich habe gar nicht bemerkt, dass sie das Krankenzimmer verlassen hat.
»Klar«, antworte ich und sehe, dass Bea die Augen geschlossen hat, vermutlich hat unser Gespräch sie sehr angestrengt. Endlich habe ich Gelegenheit, mit Vero zu sprechen, ohne dass wir Rücksicht auf meine Tante nehmen müssen.
»Lissy«, sagt Vero mit ernster Stimme, als wir auf dem Flur auf und ab spazieren, und nimmt meine Hand. »So leid es mir tut, aber ich muss dir sagen, dass die Ärzte mit Beas Zustand ganz und gar nicht zufrieden sind«, erklärt sie, und ich bemerke Tränen in ihren Augen. »Die Infektion verläuft nicht wie gewöhnlich, und momentan sind die Ärzte sich nicht sicher, ob wirklich dieses Tier der Erreger ist oder ob es sich nicht um eine völlig andere Krankheit handelt. Bea hat noch viel zu hohes Fieber, und wenn das so weitergeht, kann es sein, dass man sie in ein künstliches Koma versetzen muss.«
Bei dem Wort »Koma« meine ich den Boden unter den Füßen zu verlieren und klammere mich an Vero, um nicht zu stürzen. Alles dreht sich um mich. Ich versuche, so gut es geht, mich wieder zu fangen, weil ich weiß, dass ich jetzt stark sein muss, allein Vero zuliebe, die sich bislang ohne Hilfe mit dieser Situation auseinandergesetzt hat.
»Aber das wäre doch ein unheimlich riskanter Eingriff, oder nicht?«, frage ich, weil mir zahlreiche ähnliche Geschichten in den Kopf schießen, die alle kein gutes Ende genommen haben. Ich habe schon von Patienten gehört, die nicht mehr aus dem Koma zurückgeholt werden konnten. Und von welchen, die irreparable Hirnschäden davongetragen haben.
»Ja, das ist es, aber momentan müssen wir beide hoffen, dass das Fieber sinkt und die Ärzte gar nicht erst zu dieser Maßnahme greifen müssen. Bea ist eine Kämpfernatur. Du kennst deine Tante – die gibt nicht so schnell auf. Lass uns einfach auf ihre Zähigkeit vertrauen. Und glaub mir: So anstrengend, wie Bea manchmal sein kann, ist kein Arzt erpicht darauf, sie länger als nötig hierzubehalten. Sie werden alles dafür tun, um Bea so schnell wie möglich wieder loszuwerden.«
Bei diesen Worten muss ich dann doch lachen und verspüre endlich wieder ein Gefühl der Zuversicht.
Nachdem ich noch einmal nach Bea gesehen, ihr über den Kopf gestreichelt und Vero einen Kaffee geholt habe, sitze ich zwei Stunden später mit Nele im Café des Literaturhauses und erzähle ihr von meinem Besuch im Krankenhaus.
Auch meine Freundin ist bestürzt über die alarmierenden Nachrichten und versucht mir Mut zu machen, während der Kellner uns einen Prosecco bringt. Um Nele nicht auch noch zu betrüben, beschließe ich, das traurige Thema für den Augenblick hinter mir zu lassen, und
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