Inselzauber
den neuesten Informationsstand.
»Fühlst du dich denn jetzt wohl hier oder immer noch ein wenig einsam?«, erkundigt meine Tante sich.
Ich bin froh, dass ich diese Frage eindeutig beantworten kann, denn ich habe mich wieder gut auf der Insel eingelebt und in Leon, vor allem aber in Nele echte Freunde gewonnen.
»Was ist mit Stefan? Hast du noch mal von ihm gehört? Denkst du noch ab und zu an ihn?«, hakt meine Tante nach.
Zu meinem großen Erstaunen stelle ich fest, dass ich gerade in den vergangenen Wochen so gut wie gar nicht mehr an ihn gedacht habe. Dabei habe ich angesichts der Trennung zeitweise geglaubt, die Welt würde untergehen ohne ihn. Wie seltsam das Leben doch ist. An einem Tag ist man überzeugt davon, auf der sicheren Seite zu sein und zu wissen, wie es mit einem weitergehen wird, und einen Tag später kann alles schon vorbei sein. An einem Tag besteigt man ein Kreuzfahrtschiff, um eine Weltreise zu machen, und einige Wochen später liegt man im Koma, weil man an irgendeiner Stelle eine falsche Entscheidung getroffen hat.
Oder man macht selbst alles richtig, und ein anderer Mensch entscheidet über den eigenen Kopf hinweg und bringt damit den eigenen Lebensplan ins Wanken.
Melanie ist jetzt im siebten Monat schwanger, Ende Mai müsste das Kind zur Welt kommen. Ob ich dann wohl eine Geburtskarte von meinem Ex-Freund bekommen werde?
»Macht dir die Arbeit in der Bücherkoje Spaß? Kommst du mit Birgit Stade gut zurecht?«, fragt Bea und wendet sich damit ihrem Lieblingsthema zu: der Buchhandlung.
Ich antworte wahrheitsgemäß, dass ich meine Aufgabe dort bislang lediglich als Übergangsjob gesehen habe, dass mir einige Bereiche großen Spaß machen, andere dafür überhaupt nicht, und dass ich aber noch nicht tief genug in die Materie eingedrungen bin, um wirklich beurteilen zu können, ob der Beruf der Buchhändlerin mich auf Dauer erfüllen könnte. Aber diese Frage stellt sich ja auch gar nicht, da ich voraussichtlich ab September wieder in der Hotellerie arbeiten werde.
Als ich Bea von meinem Ausflug mit Leon zur Lesung von Marco Nardi erzähle und meine Beobachtungen der kulturellen »Elite« Sylts schildere, muss sie lächeln, weil ich es mir nicht verkneifen kann, Frauen wie Isabell von der Gathen als äußerst fragwürdige Gestalten zu schildern und den sogenannten Literaturbetrieb, wie er in Kampen praktiziert wird, aufs Korn zu nehmen. Dass ich einen Verlag für Neles Buch gefunden habe, erstaunt sie, weil sie gar nichts davon wusste, dass meine Freundin ein Kinderbuch in der Schublade hatte.
»Da hast du ja eine ganze Menge erlebt!«, freut Bea sich.
Wenn ich es recht bedenke, stimmt das auch. Mein Leben hat sich um hundertachtzig Grad gedreht, und momentan kann ich mir kein anderes mehr vorstellen.
»Was macht die kleine Paula?«, erkundigt sich meine Tante und eröffnet damit die Tratschrunde, die sich um ihre Nachbarn, Freunde und Bekannten rankt, mit denen ich während ihrer Abwesenheit natürlich auch zu tun hatte.
Ich erzähle von meiner Begegnung mit Ole Hinrichs und den »Sjiplurtern«, die ich beinahe für die Öfen gesammelt hätte, und auch von dem Waffenstillstand, den ich mit der kleinen Paula geschlossen habe, nachdem das Mädchen endlich begriffen hatte, dass es sich in der nächsten Zeit von meiner Wenigkeit morgens zum Kindergarten chauffieren lassen muss.
Nach wie vor sind wir nicht gerade die besten Freundinnen, aber wir haben ein stillschweigendes Abkommen, dass wir uns gegenseitig in Ruhe lassen. Paula isst nach wie vor jeden Morgen ihr Marmeladenbrötchen bei mir und hat sich gegenüber Bestechungsversuchen in Gestalt von Schokomüsli und Nutella erstaunlich resistent erwiesen, was ich bemerkenswert finde. Nachdem wir die wichtigsten Informationen ausgetauscht haben, schicke ich meine Tante ins Bett und räume die Küche auf.
Wie wohl die kommenden Monate werden?, frage ich mich, während ich die Teller in die Geschirrspülmaschine stelle. Und was Bea wohl den ganzen Tag machen wird, wenn sie so viel liegen muss und sich kaum bewegen kann?
»Die sehen ja toll aus«, bedanke ich mich bei Pastor Lorenz Petersen und seiner Frau Lina und stelle den riesigen Blumenstrauß, den die beiden als Gastgeschenk mitgebracht haben, in eine Vase. Es ist Ostersonntag, und wir geben nach dem Gottesdienst für Freunde, Nachbarn und gute Bekannte einen Osterbrunch zur Feier der Rückkehr meiner Tante, obwohl sie immer noch recht wacklig auf den Beinen ist.
Ein Hauch von
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