Inselzauber
meine Tante!«
Nach diesem Gebet entzünde ich eine Kerze. »Die ist für dich, Bea«, flüstere ich und verlasse unter Tränen die Kirche.
Es liegt nicht in meiner Macht, etwas zu tun. Ich muss ab jetzt einfach darauf vertrauen, dass sich alles zum Guten wendet.
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Kapitel 10
M ann, du machst vielleicht Sachen!«, schimpfe ich mit Bea, als diese mir zwei Wochen später von ihrem Bad im verbotenen See erzählt. »Warum musstest du auch ausgerechnet dort schwimmen, wo es nicht erlaubt ist?«, frage ich und erinnere mich an all die Stunden, die Vero und ich in größter Sorge verbracht haben.
Vero an Beas Krankenbett, ich am Telefon, in permanenter Alarmstimmung, bis ich endlich die erlösende Nachricht erhalten habe, dass es den Ärzten gelungen ist, meine Tante unbeschadet aus dem künstlichen Koma zu holen, und sie sich im Anschluss daran erstaunlich schnell erholt hat. Zumindest, was die Ausheilung ihrer Infektion betraf.
Ich schmunzle, weil zwischen uns seit ihrer Rückkehr eindeutig die Rollen vertauscht sind. Ich, die Jüngere, offensichtlich Vernünftigere, schelte meine wesentlich ältere Tante, die aus Leichtsinn und Übermut ihre Gesundheit und beinahe ihr Leben aufs Spiel gesetzt hat. Doch obwohl ich sauer bin, weil Bea nach ihrer Kamikaze-Aktion nun mit hochgelagertem Bein, immer noch blass um die Nase, etliche Kilo leichter und mit fahlem Gesicht vor dem Kamin sitzt, bin ich doch heilfroh, sie wieder hier zu haben. Auch sie war mehr als erleichtert, als ich Vero und sie aus dem Tropenkrankenhaus abgeholt und ins Kapitänshaus gebracht habe. Timo war außer sich vor Freude, sein geliebtes Frauchen endlich wiederzuhaben.
Nachdem ich Vero zu ihrer Familie nach Morsum gebracht habe, bin ich wieder zu Bea zurückgekehrt, die völlig erschöpft in ihrem Lehnsessel am Kamin saß und aus dem Fenster starrte.
»Kann ich dir was bringen?«, rufe ich ihr aus der Küche zu, während ich ein paar Einkäufe in den Schränken verstaue, die ich für sie getätigt habe.
Nach all den exotischen Genüssen im Urlaub und dem faden Essen im Krankenhaus kann ich mir gut vorstellen, dass Bea Appetit auf etwas typisch Norddeutsches wie zum Beispiel Rührei mit Krabben oder Bauernfrühstück mit Katenrauchschinken hat. Außerdem muss meine Tante dringend wieder zunehmen, denke ich, während ich die frischen Krabben in den Kühlschrank lege.
»Ein richtig schöner Friesentee wäre jetzt nett«, antwortet Bea.
Sofort mache ich mich ans Werk und bereite den Tee so zu, wie es seit Jahrhunderten hier Brauch ist: Ich brühe eine kräftige Friesenmischung auf, fülle reichlich braunen Kandis in Beas Lieblingsbecher und gieße anschließend den Tee darüber, den ich genau drei Minuten habe ziehen lassen, damit er anregend wirkt. Dann lasse ich frische Sahne hineinlaufen. Es ist sehr wichtig, den Tee NICHT umzurühren, damit er sein Aroma in Etappen entfalten kann.
Wie die Friesen selbst ist das Heißgetränk dadurch erst ein wenig bitter und wird beim Trinken immer süßer. Mit den Worten »Tut das gut« belohnt sie mich für meine Bemühungen, und ich beobachte amüsiert, wie Bea sich in dem Genuss des Tees verliert. Eine halbe Stunde später lege ich eine warme Decke über sie, da sie erschöpft in ihrem Sessel eingeschlafen ist. Merkwürdig, denke ich, auch in dieser Hinsicht haben wir auf einmal die Rollen vertauscht. Nun ist meine Tante die Hilflose, der ich beistehe und die ich verwöhnen möchte.
Auf einmal bin ich nicht mehr die kleine Lissy, die ihr immer am Rockzipfel hing und getröstet werden musste. Aber so ist das wohl, wenn man erwachsen wird, überlege ich, auch wenn ich die neue Situation noch ein wenig gewöhnungsbedürftig finde.
Zwei Stunden später sitzen wir am Esstisch, und ich beobachte erleichtert, wie Bea sich mit gesundem Appetit über die Krabben mit Rührei hermacht und sogar ein Glas Rotwein trinkt, von dem ich denke, dass er in Maßen genossen eher eine therapeutische Wirkung hat als eine berauschende. Während wir essen, schildert meine Tante in groben Zügen die wichtigsten Etappen ihrer Reise, und allmählich bekomme ich einen Eindruck davon, was die beiden Freundinnen alles gesehen und erlebt haben. Schade nur, dass sie die Reise so früh abbrechen mussten.
Weitere Details will Bea mir später erzählen, weil es sie viel mehr interessiert, wie es mir in den drei Monaten ergangen ist und wie es in der Bücherkoje läuft. Selbstverständlich erfülle ich ihren Wunsch und bringe sie auf
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