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Inselzirkus

Titel: Inselzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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dass sie nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. Ob sie ihm nachgehen und ihn um ein Autogramm für Signora Alberici bitten sollte?
    Doch noch ehe sie den Mut dafür aufgebracht hatte, wurde die Kantinentür erneut aufgerissen, und ein Mann stürzte heraus, älter und kleiner als Markreiter, aber genauso schlank und sportlich wie er. »Hat jemand Bruce gesehen?« Er rollte das r im Namen des Schauspielers und begleitete seine Worte mit einer temperamentvollen Geste, die Mamma Carlotta vertraut war. So machte es jeder Italiener, wenn er erregt war.
    Â»Angeblich hat er schon jeden nach mir gefragt. Aber keinem Einzigen hat er verraten, wo er hin ist! Merda!«
    Tanja Möck zeigte wortlos zum Ausgang der Halle, durch den Bruce Markreiter soeben verschwunden war. Der Mann ballte die Hände zu Fäusten und schüttelte sie dem Schauspieler nach. »Der ist heute mit der Zange … wie sagt man?«
    Tanja ergänzte lächelnd: »Mit der Zange nicht anzufassen. Ich weiß! Du bist nicht der Erste, der sich beklagt! Der Außendreh war eine Katastrophe!«
    Der Mann machte eine Geste, als wollte er Bruce Markreiter bei Gelegenheit den Hals umdrehen. »Der Wind zu kalt, der Tee zu heiß, il caffè nicht süß genug und der Sand zu sandig!«
    Wieder nickte Tanja, ohne dass sich an ihrem Lächeln etwas änderte. Sie verlor es nicht, es vertiefte sich aber auch nicht. »Und dass er letzte Nacht schlecht geschlafen hat, daran sind wir alle schuld!«
    Nun hatte Mamma Carlotta genug gehört. »Sie sind Italiener?« Strahlend hielt sie ihm die Hand hin. »Che gioia!«
    Die Freude war auch auf seiner Seite. Luca Medina war ebenso begeistert wie Mamma Carlotta, einen Menschen aus seiner Heimat zu treffen, wenn sie auch auf die Schnelle keine Gemeinsamkeiten fanden. Luca Medina stammte aus Florenz, wo Carlotta noch nie gewesen war, und hatte von dem umbrischen Dorf, in dem sie seit ihrer Geburt lebte, nie etwas gehört. Aber das spielte keine Rolle. Eine gemeinsame Muttersprache verband auch dann, wenn sie gerade nicht gesprochen werden konnte, weil Tanja Möck neben ihnen stand, die keiner von ihnen aus dem Gespräch ausschließen wollte.
    Sie berührte Mamma Carlottas Arm. »Kommen Sie! Reden wir über Ihren Einsatz!«
    Der Abschied fiel herzlich aus. Luca Medina konnte es nicht erwarten, Mamma Carlotta wiederzusehen, und sie freute sich schon jetzt darauf, etwas von seinem Leben in Florenz zu erfahren.
    Â»Arrivederci, Signora!«
    Â»A più tardi!«
    Tanja Möck wartete geduldig, bis die Begeisterung überwunden war, dann öffnete sie die Tür zur Kantine und schob Mamma Carlotta in einen großen Raum, in dem es summte wie in einem Bienenstock. »Luca Medina ist Bruce Markreiters Stuntman«, erklärte sie. »Es gibt ein paar gefährliche Szenen, in denen er gedoubelt werden muss.«
    Â»Stuntman?« Mamma Carlotta fuhr zu Luca Medina herum. Was ein Stuntman war, wusste sie, die hießen in Italien auch so: Männer, die für einen Schauspieler ihr Leben riskierten, die über fahrende Eisenbahnwaggons liefen, sich von einem Hubschrauber abseilen ließen und von einem rasenden Auto zum anderen sprangen. Und so einer hatte vor ihr gestanden, ohne dass sie ihn zu den interessanten Einzelheiten seines Berufs befragt hatte! Sie nahm sich fest vor, das bei nächster Gelegenheit nachzuholen.
    Die Kantine platzte aus allen Nähten. In der hinteren Ecke standen die Jugendlichen, deren Personalien aufgenommen wurden. Felix hatte sein Käppi noch immer nicht aufgesetzt und schien gerade Fragen zu seiner Person zu beantworten. Carolin stand mit einem so konzentrierten Gesichtsausdruck neben ihm, als bereitete sie sich darauf vor, gleich etwas aus »Minna von Barnhelm« zu deklamieren. Die anderen tuschelten und zeigten unauffällig auf die Schauspieler, die sich in der Nähe der Theke niedergelassen hatten.
    Mamma Carlotta hörte, wie die Casting-Chefin rief: »Keine Autogrammwünsche! Klar? Hier wird gearbeitet! Wer die Schauspieler belästigt, kann gleich wieder gehen.«
    Alle nickten brav und kicherten nur hinter vorgehaltener Hand, als einem der Hauptdarsteller der Kaffeebecher aus der Hand rutschte und dessen Inhalt sich über die Schauspielerin ergoss, die in der Telenovela seine Geliebte spielte. Seit Jahren betrog er seine Ehefrau mit ihr, was mit Ausnahme der

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