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Inselzirkus

Titel: Inselzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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einbüßten. Was hatten diese armen Menschen alles durchzustehen! Kaum waren sie einer Katastrophe entronnen, kam schon die nächste, und wenn man gerade auf ein Happy End hoffen durfte, erschien garantiert ein Nebenbuhler oder eine verflossene Geliebte und machte alles wieder kaputt. Aber die Betroffenen veränderten sich unter diesen Schicksalsschlägen kaum. Nach einer kurzen Phase der Depression fanden sie allesamt zügig ins normale Leben zurück und damit todsicher den nächsten Kandidaten, der sie unglücklich machen würde.
    Wenn Mamma Carlotta da an die Signora Endrizzi dachte! Die huschte, seit sie von ihrem Mann verlassen worden war, wie ein Schatten ihrer selbst durchs Dorf, und seit ihr Sohn gegen den Willen der Mutter eine Norwegerin mit zwei unehelichen Kindern geheiratet hatte, ging sie kaum noch vor die Tür. In »Liebe, Leid und Leidenschaft« dagegen hatte eine der Hauptdarstellerinnen kaum festgestellt, dass sie mit ihrem Halbbruder verheiratet war, da wurde auch schon ihr Sohn entführt, und das ausgerechnet von ihrer Zwillingsschwester, die sie nicht kannte, weil die beiden direkt nach der Geburt getrennt worden waren. Aber ging die arme Frau deswegen nicht mehr vor die Tür? Im Gegenteil! Sie kümmerte sich nicht nur erfolgreich um ihr privates Desaster, sondern leitete ganz nebenbei auch noch einen Kosmetikkonzern. Und das alles in großer Pracht und edelstem Design. Davon blieb aber augenscheinlich nichts übrig, wenn die Scheinwerfer erloschen.
    Die unbeleuchteten Kulissen waren unordentlich zusammengerückt worden, sahen düster und schäbig aus, und Mamma Carlotta fragte sich, wie daraus wieder das vornehme Wohnzimmer eines Arztehepaars oder die technisch hervorragend ausgestattete Küche ihrer Tochter werden sollte, die als Studentin mehr Geld zur Verfügung hatte als jeder ihrer Professoren. War sie jetzt mit der Scheinwelt konfrontiert worden, von der Erik gesprochen hatte? Wenn sie auch wie jeder Mensch wusste, dass der Alltag nicht so viele Überraschungen bot, wie die Fernsehmacher in eine knappe Stunde steckten, und kein Mensch ständig derart gewaltige Schicksalsschläge aushalten musste wie die Helden von »Liebe, Leid und Leidenschaft«, tat es ihr doch weh, gleich in den ersten Minuten nach ihrem Eintritt in diese andere Welt aller Illusionen beraubt zu werden.
    Tanja Möck hatte diese Illusion womöglich nie gekannt. Sie schien ohnehin nicht in diese flüchtige, überbordende Welt zu passen. Ihre Fettleibigkeit kam Mamma Carlotta vor wie der Ausdruck einer tiefen Zufriedenheit, die mit einer guten Portion Gleichgültigkeit angereichert war, ihre Psyche schien so rund und gemütlich zu sein wie ihr Körper, ihre Seele zu unbeweglich für böse Gedanken. Wenn sie lächelte, verzog sie einen Mundwinkel, als wäre ihr ein breites Lächeln zu anstrengend, und der Ausdruck ihrer Augen veränderte sich nie. Gleichgültig sah sie über alles hinweg, nur gelegentlich kniff sie die Augen zusammen, als blinzelte sie gegen die Sonne. Immer dann, wenn sie Gelächter hörte, einen hellen Ruf oder eine kecke Antwort auf eine vorwitzige Frage. Ob sie sich dann heimlich diese Leichtigkeit wünschte, die ihr selbst nicht gegeben war?
    Mamma Carlotta starrte noch immer auf die Kulissen, die ihr so deutlich vor Augen führten, dass hier nur eine Simulation erzeugt wurde, die mit dem wirklichen Leben nichts zu tun hatte. Aber dann öffnete sich am anderen Ende der Halle die Tür zur Kantine, und die Realität wurde ins Zauberland zurückversetzt: Bruce Markreiter trat heraus, der große Schauspieler, der auch in Italien bekannt und beliebt war. Ein Star! Ein Mensch, der von unzähligen anderen bewundert wurde, dem junge Mädchen nachliefen, damit sie ein Autogramm von ihm bekamen! Ein Mann, der mit einer Schauspielerin verheiratet war, die noch berühmter war als er selbst. Die sogar in Hollywood Erfolge feierte! Ein solcher Mann ging an Mamma Carlotta vorbei, ohne dass der Himmel einstürzte!
    Sie drehte sich um und starrte ihm mit offenem Mund nach. Wenn sie das in ihrem Dorf erzählte! Signora Alberici, die in der Adventszeit das Krippenspiel einübte und während dieser Wochen ständig von gestischen Möglichkeiten, Darstellungsmethoden und Sprachimpulsen redete, würde sie glühend beneiden. Carlotta Capella war dem großen Bruce Markreiter nahe gewesen! So nahe,

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