Inshallah - Worte im Sand - Roman
gefrühstückt – kam Jamila zu uns. Sie strahlte Malehkah an und zog das Hochzeitstuch mit dem Blut meiner Schwester aus einem Stoffbeutel. Malehkah nahm das Tuch lächelnd entgegen und bedankte sich. Nachdem Jamila gegangen war, verflog ihr Lächeln. Sie drehte sich zu mir um, das Symbol für Zeynabs erste Nacht mit ihrem Mann in der Hand.
»So«, sagte sie. »Es ist vollzogen. Deine Schwester ist jetzt verheiratet.« Sie reichte mir das Tuch. »Und nun verbrenn das Ding.«
Ich hatte mit Zeynab immer alles besprochen und war mit jeder Frage zu ihr gegangen. Wenn ich ängstlich oder besorgt gewesen war, hatte sie mich getröstet. Wenn ich jemandem zum Lachen oder Feiern gebraucht hatte, war sie zur Stelle gewesen. Sie hatte mir immer gegen Malehkah beigestanden und sie war meine beste Freundin. Meine Schwester. Wir hatten unser Leben geteilt und waren nie getrennt gewesen. Bis zu diesem Sommer.
Jetzt war Zeynab glücklich verheiratet. Ich hoffte jedenfalls, dass sie glücklich war. Glücklicher als ich. Ich konnte sie nicht fragen. Während der letzten zwei Wochen hatte ich keine Gelegenheit dazu gehabt. Egal, wie sehr ich gegen die Trübsal ankämpfte – ich fühlte mich sehr einsam, obwohl ich mir oft in Erinnerung rief, dass sie immer von Heirat und Kindern geträumt hatte.
Baba und Najib hatten ihre Arbeit und konnten miteinander reden. Khalid und Habib spielten zusammen. Malehkah war ständig schlechter Laune und unterhielt sich ungern. Es lag nicht daran, dass ich jetzt auch Zeynabs Arbeiten erledigen musste; ich hätte auch doppelt so viel gearbeitet, wenn ich jemanden zum Reden gehabt hätte.
Nach dem Mittagsgebet hatte ich das Essen für Baba und Najib zur Baustelle gebracht und nun ging ich zuMeenas Schneiderei. Nach allem, was ich der Muallem bei meinem letzten Besuch an den Kopf geworfen hatte, bezweifelte ich, dass sie je wieder mit mir sprechen würde. Aber genau darum ging es. Ich musste etwas anderes hören als Malehkahs mürrische Befehle, das ständige berufliche Gerede meines Vaters und das Geheul meiner kleinen Brüder.
Ich wollte die Tür zum Laden öffnen, aber dann ließ ich meine Hand sinken und lief weiter. Ich konnte nicht hineingehen. Warum sollte Meena mit mir reden, nachdem ich so gemein gewesen war?
»Hast du es dir anders überlegt, mein Kind?« Ihre Stimme erklang hinter mir.
Ich blieb stehen und drehte mich zu ihr um. Sie stand vor ihrer Tür auf dem schmalen Bürgersteig aus gestampfter Erde. »Wie bitte?«
»Hast du deine Meinung geändert? Bezüglich des Lernens?«
»Ich weiß nicht. Anfangs habe ich die Gedichte geliebt. Und ich wollte das Versprechen halten, das ich meiner Mutter gegeben habe. Dann kam mir alles wie Zeitverschwendung vor … Und jetzt … Ich weiß es wirklich nicht genau.«
»Ah! Beim letzten Mal warst du dir so sicher«, sagte Meena freundlich. »Jetzt scheint du eine Tasse Tee nötiger zu haben denn je.«
Ich folgte ihr durch den Laden und den verblichenen Vorhang in ihre winzige Wohnung. Sie sagte nichts, sondern bat mich mit einem Wink, auf dem grünen Plastikstuhl Platz zu nehmen.
Das verblasste Schwarz-Weiß-Foto ihres Mannes stand noch auf dem kleinen Nachttisch neben ihremBett. Das Bild war wegen eines Risses im Glas nicht gut zu erkennen. Ich setzte mich anders hin, um es genauer betrachten zu können. »Wie hast du deinen Mann getroffen?«
»Wie wohl, mein Kind? Ich habe Masoud bei unserer Hochzeit kennengelernt.« Sie drehte sich nach mir um, während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte. »Eines Tages kam die Mutter meines Cousins zweiten Grades zu uns. Sie suchte eine Frau für ihren Sohn. Meine Eltern hielten es für eine gute Verbindung.«
»Warst du glücklich?«
Meena lächelte. »Zuerst war ich nervös. Denn ich sollte ja ein Leben lang mit einem Mann verheiratet sein, dem ich noch nie begegnet war. Aber meine Eltern hatten eine weise Wahl getroffen. Ich habe mit Masoud die glücklichsten Jahre meines Lebens verbracht. Wir haben einander geliebt. Wir hatten gemeinsam Spaß. Er hat mich sogar während meines Studiums unterstützt, damit ich Professorin an der Universität von Herat werden konnte.« Der Kessel begann zu pfeifen. Sie stellte die Platte ab und goss das dampfende, heiße Wasser auf die Teeblätter in der Kanne. Dann zog sie ein Buch aus dem Regal und setzte sich auf ihr Bett. »Bist du deshalb gekommen? Machst du dir Sorgen um deine Schwester?«, fragte sie.
Ich betrachtete den feinen Dampf, der aus der
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