Inshallah - Worte im Sand - Roman
tief Luft. »Was meinst du, Baba-jan? Darf ich …«
»Hajji Abdullah hatte seit der Hochzeit keine ruhige Minute mehr«, sagte Baba. Malehkah riss ein Stück Lamm ab und hielt es Habib hin, während sie Baba eindringlich musterte. Er rieb sein Kinn mit den Fingerknöcheln. »Seine Hauptfrau bedrängt ihn offenbar die ganze Zeit mit der Frage, wann du für die Operation zu den Amerikanern nach Kandahar reisen kannst.« Er grinste. »Er hat in Farah mit dieser Soldatin geredet. Sie hat gesagt,dass sie morgen einen Hubschrauber erwarten. Ich nehme an, dass Najib dich hinfahren kann. Wir kommen drei oder vier Tage ohne ihn aus. Vielleicht können wir deinen Mund doch noch richten lassen.«
Ich ließ den Reis fallen und sah meinen Vater aus großen Augen an. Dann schaute ich zu Najib, der genauso überrascht zu sein schien. Baba-jan lachte so plötzlich los, dass es wie ein Kanonenschuss klang. »Ja, was? Nicht mal ein Tashakor?«
»Im Ernst, Baba-jan?«, fragte ich. »Schon morgen?«
Baba lachte, bis er rot im Gesicht war. Ich kam auf die Beine, wich dem in die Hände klatschenden Khalid aus und warf mich in die ausgebreiteten Arme meines Vaters, der mich fest an sich drückte. »Das ist meine brave, süße Zulaikha. Bald hast du ein makelloses Gesicht.«
Ich presste mich gegen seine Brust, denn ich hatte Angst, dass mir die Chance, operiert zu werden und einen normalen Mund zu haben, ein zweites Mal entgehen würde, wenn ich ihn losließ.
Später, nach Abwasch und Abendgebet, versuchte ich auf dem Dach einzuschlafen. Ich streckte einen Arm nach rechts aus, zu Zeynabs leerem Platz, und wünschte mir, ihre Hand halten zu können. Mein Bedürfnis, diese wunderbare und wundersame Nachricht mit ihr zu teilen, war so groß, dass meine Brust schmerzte.
Da schoss eine Sternschnuppe über den Himmel, gefolgt von einem hellen Schweif. Ob Zeynab sie auch gesehen hatte? Ich hatte so für ihr Eheglück gebetet wie vielleicht sie für meine Operation. Wie sollte man dieses Wunder sonst erklären?
Trotzdem war ich beunruhigt. Ich hatte schon einmalin dieser glücklichen Vorstellung geschwelgt und am Ende erleben müssen, wie all meine Hoffnungen durch einen ausbleibenden Hubschrauber zunichte gemacht wurden. Ich betete unaufhörlich darum, dass es jetzt anders kam. Denn wie sollte ich die Enttäuschung aushalten, wenn die Sache noch einmal scheiterte?
Ich hatte offenbar doch etwas geschlafen, denn Najib schüttelte mich wach. »Zulaikha«, flüsterte er. Es war stockdunkel. Ich drehte mich zu den Bergen im Osten um, aber die Dämmerung war noch nicht angebrochen und der Muadhin hatte auch noch nicht gerufen. Wir waren sehr früh auf.
Ich sprang von meiner Toshak und folgte meinem Bruder nach unten. Ich hatte geglaubt, das Haus wäre noch dunkel, aber die ganze Familie hatte sich im Schein der Kerosinlampe im Hauptraum versammelt. Mir war nicht aufgefallen, dass Khalid und Habib nicht mehr auf dem Dach gewesen waren, denn ich hatte es zu eilig gehabt, schlaftrunken meinem großen Bruder zu folgen.
»Viel Glück, Zulaikha«, sagte Khalid.
Habib schwieg, aber er umklammerte meine Beine mit seinen kurzen Armen, bis Khalid ihn wegzog. Mein kleinster Bruder wischte über seine müden Augen und winkte mir.
»Benimm dich bei den Amerikanern, Zulaikha. Vergiss ja nicht, ihnen zu danken. Befolge ihre Anweisungen«, mahnte Malehkah. Als sich unsere Blicke trafen, nickte die Frau meines Vaters tief. Dann sahen wir beide weg.
Zuletzt nahm mich Baba-jan fest in seine starken, warmen Arme. Er hob mich hoch und hielt mich, wie ermich seit Jahren nicht mehr gehalten hatte. Dann küsste er mich auf die Wange und setzte mich wieder ab. »Keine Sorge, Zulaikha. Najib wird dich wohlbehalten hinfahren. Und sobald du mit einem schönen Mund wieder bei uns bist, werden wir feiern. Das verspreche ich. Habe ich nicht gesagt, dass die Zeiten gut sind?« Baba-jan streichelte meinen Rücken und warf Najib den Autoschlüssel zu. Mein Bruder nickte mir zu und wir gingen nach draußen.
Ein paar Minuten später waren wir unterwegs. Nachdem wir An Daral verlassen hatten, klammerte sich Najib an das Lenkrad. »Ich überlege, wie Baba und ich neulich nach Farah gefahren sind, als wir Nachschub für die Schweißarbeiten geholt haben. Im Dunkeln sieht alles anders aus.« Das war das Einzige, was er während der ganzen Fahrt sagte. Schließlich erreichten wir Farah und fuhren auf leeren, frühmorgendlichen Straßen zur amerikanischen Basis. Als unsere
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