Inshallah - Worte im Sand - Roman
Tülle der Kanne wölkte. Bis auf Meena, die in dem alten Buch blätterte, war es still. »Ich weiß nicht«, begann ich. »Sie … Sie hat immer davon geträumt, einem guten Mann eine gute Frau zu sein. Eine Familie zu haben.« Ich zuckte mit den Schultern. »Sie müsste glücklich sein. Ich müsste mich für sie freuen.«
»Tust du das?«
»Sie fehlt mir.«
Meena legte das Buch weg, ohne auf die Seite zu achten, die sie aufgeschlagen hatte. Dann stand sie auf, schenkte zwei Tassen Tee ein und reichte mir eine. Ich lehnte den Kopf zurück, um einen Schluck trinken zu können. Meena setzte sich wieder und nahm das Buch zur Hand. »Warum bist du hier?«
Ich betrachtete ihr fast schlohweißes Haar. Ihr altes Gesicht. Ihre tiefen, klaren, eindringlichen Augen. »Wenn ich das wüsste«, sagte ich.
Sie nickte, hob das Buch und begann zu lesen.
»Nie hätte Zulaikha dergleichen geglaubt
– aber sie war ihres Liebsten beraubt.
Ein geheimer Funke in ihrer Brust
Weckte Verlangen, Unrast und Lust.
Sie kämpfte gegen die Sehnsucht an,
Ohne zu wissen, woher sie kam.«
»Ist das auch aus Yusuf und Zulaikha ?«, fragte ich. Meine Muallem nickte. »Ich habe das Gefühl, als würde der Dichter über mich schreiben.« Meena lächelte. Ich schüttelte den Kopf. »Ich meine damit nicht nur, dass er meinen Namen benutzt. Sondern auch, dass Zulaikha in diesem Abschnitt jemanden vermisst. Außerdem geht es um …«
»Das Gefühl, dass noch etwas anderes fehlt?«
»Ja. Um eine innere Unruhe. Ein verstecktes Verlangen.« Ich suchte nach passenden Worten und war dankbar, dass Meena so viel Geduld hatte. »Zeynab war für eine Heirat bestimmt und sie hat geheiratet. Ich müsste froh sein.« Ich berührte meine Hasenscharte. »Eigentlichhätte ich operiert werden sollen. Aber die Operation ist ausgefallen und die Heirat meiner Schwester hat mich nicht glücklich gemacht.« Ich trank einen Schluck, weil ich hoffte, dass die Muallem irgendetwas Weises erwidern würde. Aber sie wartete ab. »Entschuldigung«, sagte ich. »Ich habe mir Gedanken über das gemacht, was ich neulich zu Ihnen gesagt habe. Ich habe es nicht so gemeint.« Ich hätte ihr gern alle meine Gedanken erläutert, brachte aber nur hervor: »Es tut mir leid.«
Meine Muallem hob eine Hand. »Keine Entschuldigungen, mein Kind. Du lernst noch.«
Ich trank einen Schluck. »Ich möchte weiterlernen.« Ja, das wollte ich, auch wenn es im Grunde nur darum ging, einen Gesprächspartner zu haben. »Ich möchte mehr wissen. Ich möchte lesen und schreiben können. Die Gedichte haben meiner Mutter viel bedeutet. Ihnen auch.« Ich sah zur Muallem auf. »Ich möchte mehr über sie erfahren.«
Meena lächelte. »Vor allem«, sagte sie, »sind die Worte und die alten Gedichte ein tiefer Trost in der Einsamkeit. Schauen wir uns die Verse aus Yusuf und Zulaikha an, die ich gerade vorgelesen habe. Wir wollen die Schriftzeichen und ihre Laute untersuchen und einige kleinere Wörter genauer unter die Lupe nehmen.« Sie hob den Blick von der Seite. »Bist du bereit?«
»Bale, Muallem.«
»Dieses Lamm«, sagte mein Vater am späteren Abend, als wir uns alle zum Essen um den Daster Khan versammelt hatten, und leckte den Saft von seinen Fingern, »ist wirklich köstlich, Zulaikha.«
»Tashakor«, sagte ich und fragte mich, wann er MalehkahsKochkünste zuletzt gelobt hatte. Oder Zeynabs. Ich drehte mich zu dem leeren Platz neben mir.
»Wenn du weiter so kochst, wirst du deinen Mann später rundum glücklich machen.« Er nahm einen Knochen und nagte das letzte bisschen Fleisch ab. »Mmm. Köstlich.« Malehkah blickte Baba kurz an. Als Habib sich noch mehr Naan nehmen wollte, riss sie ein Stück für ihn ab. Baba ließ den Knochen fallen. »Ohne Zeynab ist es hier so still. Aber wenn sie nur halb so gut kocht, ist Tahir ein glücklicher Mann. Ah – apropos Tahir …« Baba zeigte auf Najib. »Du musst noch heute Abend den bestellten Stahl mit dem Toyota vom Basar holen. Tahir will, dass die zweite Presse für die Betonsteine bis zum Wochenende fertig ist.«
»Bale, Baba«, antwortete Najib.
Ich rollte den Reis mit einem Seufzer zu einer kleinen Kugel und wollte den Kopf zurücklehnen, um sie zu essen, als ich merkte, dass Baba mich mit gerunzelter Stirn anstarrte. Er schien Zeynab auch zu vermissen, auf jeden Fall ein wenig. Vielleicht erlaubte er mir, sie zu besuchen. Malehkah hatte mir verboten, ihn sofort darum zu bitten, aber die Hochzeit war jetzt zwei Wochen her.
Ich holte
Weitere Kostenlose Bücher