Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
Binnen fünfzehn Minuten verfasste Topiary im IRC-Chat eine umfangreiche, ausgefeilte Meldung mit dem Titel: »Tupac lebend in Neuseeland aufgetaucht.«
»Der prominente Rapper Tupac soll gesund und munter in einem kleinen Urlaubsort in Neuseeland aufgetaucht sein, berichten Einheimische. Die Kleinstadt – der Name bleibt aus Sicherheitsgründen geheim – soll Tupac und Biggie Smalls (einen anderen Rapper) für mehrere Jahre beherbergt haben. Ein Einwohner namens David File, der vor kurzem verstorben ist, hinterließ Hinweise und Berichte zu Tupacs Aufenthalt in einem Tagebuch, das auf seinen Wunsch seiner Familie in den Vereinigten Staaten zugestellt wurde. ›Wir sind überrascht über die Angaben, die David hinterlassen hat‹, sagte seine 31-jährige Schwester Jasmin. ›Wir hielten es für das Beste, die Sache weltweit öffentlich zu machen. Wir glauben nicht, dass sie geheim gehalten werden sollte.‹
Der 28-jährige David war kurz vorher Opfer eines Überfalls durch eine ortsbekannte kriminelle Bande geworden. Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit wurde er von mehreren Kugeln getroffen. Am Tatort wurde sein Tod festgestellt. Die Polizei entdeckte in einer Nachttischschublade das Tagebuch. ›Wir haben es natürlich nicht gelesen‹, gab der Polizeibeamte an. ›Wir haben nur die Bitte entdeckt, es an eine US-Adresse zu schicken, und sind diesem Wunsch Davids dann auch nachgekommen.‹
Beamten sperrten die Zufahrten in die Stadt ab. An Spekulationen, wonach Tupac und Biggie in eine andere Region oder ein anderes Land verbracht worden seien, wollen sie sich nicht beteiligen. Zu Fragen, wie lange genau und warum die Rapper dort untergekommen waren, lehnten die Einwohner jeden Kommentar ab. Ein Mann sagte nur: ›Darüber sagen wir hier nichts.‹
Die Familie David Files verlangte inzwischen, größere Anstrengungen zur Festnahme der Todesschützen zu unternehmen. ›David war ein reizender, unschuldiger Junge‹, berichtete seine Mutter. ›Als er nach Neuseeland zog, war er so glücklich wie nie zuvor.‹
Sein Bruder Jason verlangte, ein Teil von Davids Tagebuch solle veröffentlicht werden, damit es vielleicht entschlüsselt werden könne. ›Am Ende‹, sagt Jason, ›gibt es eine Zeile, wo es heißt: Zuckt zusammen als wichtige Todesanzeige. Auf die Zeile haben wir uns bislang keinen Reim machen können.‹ Davids Freundin Penny wollte sich dazu nicht äußern.«
Die letzte Zeile spielte auf Penny Leavy von HBGary an, während der letzte Satz – auf Englisch yank up as a vital obituary – eine weitere Visitenkarte von LulzSec darstellte: ein Anagramm für Sabu, Kayla, Topiary und AVunit.
Die IT-Administratoren von PBS kämpften vergeblich darum, wieder Zugang zu ihrem System zu bekommen. Sabu und Kayla hatten einen Dienstverweigerungsangriff auf sie gestartet und sie so außer Gefecht gesetzt. Topiary fügte der Meldung ein Foto von Tupac Shakur bei und klickte auf »Veröffentlichen«. Dann twitterte er Links zu einem Pastebin-Post mit den Passwörtern von fast allen Journalisten, die für PBS arbeiten, anschließend zu einem Post mit sämtlichen Anmeldepasswörtern für die angeschlossenen Sender von PBS, schließlich zu einem Post mit den MySQL-Root-Passwörtern für PBS.org (das Root-Passwort für die Datenbank), sodass jeder jederzeit ihre Website hacken konnten ‒ zumindest so lange, bis jemand die Sicherheitslücke gestopft hätte. Und er hatte noch mehr zu bieten: die Anmeldedaten von allen, die für Frontline von PBS arbeiteten, und eine Karte des PBS-Servernetzwerks. Dabei versuchte er meistens den Eindruck zu vermeiden, dass ihr Angriff durch WikiSecrets motiviert sei oder dass sie den Spaß aus politischen Motiven trieben. Allerdings wies er mindestens einmal auf Twitter darauf hin: »Übrigens, WikiSecrets hat genervt.«
Die Leser teilten die Meldung zu Tupac fast unverzüglich Freunden mit, posteten sie auf Facebook und Twitter und zeigten an dem Gerücht, wonach Tupac noch lebte, brennendes Interesse. Auch wenn das Content-Management-System von PBS miserabel geschützt gewesen war, so war es doch eine angesehene Nachrichtenquelle. Teresa Gorman, die bei PBS News Hour für die sozialen Netzwerke und Online-Fragen zuständig war, hatte alle Mühe, dem Dutzend Lesern zu antworten, die sie auf Twitter öffentlich nach dem Wahrheitsgehalt der Story befragten: »Nein, wir sind gehackt worden.« – »Nein, es ist ein Hackerangriff, danke.« – »Es ist ein Hackerangriff.« Dann zu vier
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