Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
Julian Assange in ein schlechtes Licht. Als er mit der Gruppe darüber redete, sahen das alle so. Kayla war zufällig einige Wochen zuvor mit ihrem Bot zum automatischen Scannen auf Schwachstellen in einer Website von PBS gestoßen. Sabu fragte die Mitglieder der Gruppe, ob sie einverstanden seien, PBS zur Zielscheibe ihres nächsten Großangriffs zu machen, auch wenn es sich um eine nicht-kommerzielle TV-Senderkette handelte, in der zudem die Sesamstraße beheimatet war. Keine Frage: Alle waren dazu bereit.
Wie gewöhnlich brach Sabu durch eine Sicherheitslücke, die Kayla entdeckt hatte, in das Netzwerk von PBS ein und zog Nutzerdaten ab: hier eine Datenbank zu achtunddreißig Mitarbeitern, dort Daten zu Hunderten von Nutzern des Presseraums. Bisweilen war es schwierig herauszubekommen, was für Daten sie eigentlich stahlen. Aber das war auch nicht wichtig. Sie würden sie trotzdem veröffentlichen. Um die Datenbank zur erleichterten Durchsicht schneller herunterzuladen, nutzten sie ein Tool namens Havij. Während Sabu und Kayla die Routinearbeit des Hacks erledigten, machten sich Topiary und AVunit daran, ein paar eingängige Visitenkarten zu hinterlassen, um die Anons zum Lachen zu bringen. Die Gruppe arbeitete die Nacht durch und fügte der Website von PBS mehrere neue Seiten hinzu, beginnend mit www.pbs.org/lulz/, die zu einer Seite mit einem riesigen Cartoonbild von Nyan Cat führte. Die Katze, die durch den Raum fliegt und einen Regenbogen hinter sich herzieht, war zu einem der bekanntesten Internetphänomene geworden.
Eine weitere neu erstellte Seite, www.pbs.org/ShadowDXS/, zeigte das Foto eines beleibten Mannes, der einen gut 30 Zentimeter großen Hamburger isst, mit der Bildunterschrift: »LOL HI I EAT CHILDRENS«, (»lol, hi, ich fresse Kinder«) – eine Anspielung auf einen Anon mit dem Nickname ShadowDXS, der ebenfalls sehr dick war und dem Hugo aus der Fernsehserie Lost ähnelte. (Topiary twitterte noch etwas über diesen Hugo, löschte es aber, weil er es doch für zu albern hielt. The Jester glaubte deswegen, dass es sich um ein Vertuschungsmanöver handele und Sabu in Wahrheit Hugo heiße.)
Vor dem Angriff auf PBS hatten sich Topiary, Shadow, Pwnsauce und ungefähr fünfzehn Anons alle am Samstagabend bei TinyChat eingeloggt und beim Chatten per Text, manche auch akustisch und einige wenige über die Webcam, heftig gebechert. Am Ende postete ein sturzbetrunkener Topiary über seinen persönlichen Account ein paar Tweets an mehrere Tausend Followers, die zum Teil völlig verstümmelt und unverständlich ausfielen. Die Leute schickten ihm in der Hoffnung auf spaßige Auftritte irgendwelche Telefonnummern zu, die Topiary dann zu Scherzanrufen nutzte.
Am nächsten Morgen erwachte Barrett Brown mit mehreren Voicemails Topiarys, er sei »gemäß dem Gemäßen«. Dazu lagen ihm anzügliche Nachrichten von Transvestiten vor, die seine Nummer mit dem Versprechen erhalten hatten, sie könnten sich telefonisch zum Sex verabreden. Topiary verschlief den Großteil des Sonntags und wählte aus Neugierde beliebig eine der vielen Nummern in den USA, die in seiner Anruferliste von der Nacht zuvor standen. Wütend meldete sich ein Kerl mit Südstaatenakzent: »Wenn du mich noch mal anrufst, du indisches Arschloch, dann hack ich dir deinen verdammten Kopf ab.« Topiary erinnerte sich an den Mann überhaupt nicht, ging aber davon aus, dass er sich mit ihm gut unterhalten hatte. Der Spaß in der Nacht deckte sich offenbar mit den Aktivitäten von LulzSec. Der Alkohol hatte ihn bei seinen Spaßanrufen voll in Fahrt gebracht. LulzSecs kleines Publikum und die Fähigkeiten der Gruppe hatten beim Angriff auf PBS dieselbe Wirkung.
Später ärgerte sich Sabu, dass Topiarys Seite mit Nyan Cat weniger auf eine Botschaft zum Thema Assange als vielmehr auf Lulz hindeutete. Um die Sache richtigzustellen, brach Topiary in den frühen Morgenstunden in das Content-Management-System von News Hour ein, das PBS vor allem dazu nutzte, um Berichte auf seiner Website zu veröffentlichen, und stellte fest, dass er auch direkt dort eine glaubwürdige Nachricht anbringen konnte.
Zunächst dachte er an eine Meldung, wonach Obama an einem Marshmallow erstickt sei. Als er sie den anderen in der Gruppe vorschlug, entschieden sie sich für eine bessere Story über Tupac Shakur, den amerikanischen Rapper, der 1996 in Las Vegas erschossen worden war. Genau wie im Falle von Elvis Presley kursierten seither Gerüchte, wonach er noch lebe.
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