Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
einzuschleichen, dann die Computer der Mitglieder mit einem Key-Logger-Programm zur Überwachung ihrer Tasteneingaben zu infizieren, so die entscheidenden Passwörter zu erfahren und die Computer zu übernehmen. So etwas nannte man einen Drive-by-Angriff, und in diesem Fall gestaltete es sich ziemlich aufwendig. Normalerweise brauchte man aber nur jemanden dazu zu bringen, eine Website zu besuchen und dabei Malware auf seinem System zu installieren. So kam es, dass Kayla bloß für ein paar Stunden am Tag mit der Crew chattete und dann wieder für einen Tag oder länger verschwand.
Inzwischen kamen aus den Vereinigten Staaten überraschende Neuigkeiten. Das Pentagon hatte erklärt, Cyberangriffe aus anderen Staaten könnten als kriegerische Handlung aufgefasst werden, und die USA würden ganz traditionell mit militärischer Gewalt darauf reagieren. Praktisch gleichzeitig wurde Anonymous in einem Berichtsentwurf der NATO als »immer leistungsfähiger« bezeichnet; es hieß, die Gruppe »könnte sich möglicherweise Zugang zu wichtigen Daten von Regierung, Militär und Privatwirtschaft verschaffen«. Den Nachweis für die Fähigkeit dazu habe Anonymous mit dem Hack gegen HBGary Federal erbracht, hieß es weiter. Ironischerweise wurde behauptet, der Angriff auf Barrs Unternehmen und die Übernahme seines Twitter-Accounts sei erfolgt »als Antwort« der Hacker auf den Auftrag der Bank of America an das Unternehmen, Gegner wie WikiLeaks zu attackieren. Sogar die NATO schien die Fähigkeiten von Anonymous aufzublähen und sah Vorsatz und Verbindungen, wo in Wahrheit nur Zufälle im Spiel waren. So erfuhren die Hacker von Barrs Plänen gegen WikiLeaks erst, nachdem sie ihn angegriffen hatten. Die Meldung erregte natürlich trotzdem großes Aufsehen.
»Hast du den NATO-Text über Anonymous gelesen?«, fragte Trollpoll im #pure-elite-Hub. Trollpoll hörte sich nicht an, als käme er aus den Vereinigten Staaten, aber wirklich sicher konnte man sich da bei niemandem sein. »Lassen die jetzt Panzer auf unsere Häuser los?« »Obama wird sagen ›Lol macht ihr mir per DDoS den Server dicht?‹«, sagte Kayla. »›Atomschlag.‹«
Da die Welt ihre Aufmerksamkeit nun LulzSec und der kriegerischen Rhetorik der US-Regierung zuwandte, schien der geeignete Zeitpunkt gekommen, den FBI-Auftragnehmer Atlanta Infragard hochgehen zu lassen. Die Gruppe hatte diese Site schon seit Monaten unter Kontrolle und glaubte, genügend gegen den White Hat Hijazi in der Hand zu haben, um ihn bei derselben Gelegenheit bloßzustellen. Das würde den Druck auf LulzSec natürlich erhöhen, aber gegenwärtig lief es ja prächtig, und man fühlte sich sicher.
Den entscheidenden Schlag sollten die Gründungsmitglieder von LulzSec ausführen. Als sie zum Entstellen der Website bereit waren, rief Sabu die Shell auf – eine von ihm erstellte Verwaltungsseite namens xOOPSmaster ‒ , startete sein Eingabeprogramm, damit er mit dem Quellcode herumspielen konnte, und tippte, offenbar aus einer Laune heraus, rm –rf/*. Das war ein kurzes und unscheinbares, dafür umso berüchtigteres Stückchen Programmcode: Wer das an seinem Terminal eintippte, löschte praktisch alles auf dem System. Da erschien kein Warnfenster mehr mit der Frage Sind Sie sicher? Es geschah einfach. Webtrolle waren bekannt dafür, dass sie ihre Opfer dazu brachten, diesen Code einzutippen oder auch den wichtigen Ordner System32 in Windows zu löschen.
»Oops«, meinte Sabu zu den anderen. »Habe gerade alles gelöscht. rm –rf/*.« Kayla schlug die Hand vors Gesicht, dann machten alle weiter. Nach allem, was sie schon angestellt hatten, schien das Löschen der Inhalte der Website von Infragard keine große Sache. Dann luden sie – als Defacement – mithilfe der /xOOPS.php-Shell ein riesiges Bild samt Titel auf die Homepage von Infragard. Das FBI wurde damit nicht ernsthaft getadelt – es war eher ein Scherz, der sich gegen die Crew von Jester richtete. Das Team hatte die Homepage von Atlanta Infragard gegen ein YouTube-Video ausgetauscht, auf dem ein osteuropäischer Fernsehreporter vor einer Disco einen unglaublich betrunkenen Mann interviewte. Jemand hatte den Clip mit Untertiteln versehen, die den Mann als Möchtegern-Hacker von 2600 erscheinen ließen, der nicht begriff, was LulzSec so tat. Über dem Video stand der Titel »LET IT FLOW YOU STUPID FBI BATTLESHIPS« (Lasst es laufen, ihr blöden FBI-Schlachtschiffe). Die Beschriftung des Fensters lautete: »NATO – National Agency
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