Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
zahlen bereit war, um ihn dann bloßzustellen. Es war ein Krieg der Worte auf der unsicheren Basis von Lügen und sozialer Manipulation.
Wieder forderte Topiary die Journalisten und Berichterstatter auf, sich in Hijazis E-Mails »zu vertiefen« – in der Hoffnung, bei ihnen dieselbe Begeisterung hervorzurufen wie bei den E-Mails von Aaron Barr. Aber es lief nicht – schon deshalb nicht, weil Hijazi einfach nicht genügend Dreck am Stecken hatte. Vor allem aber war LulzSec inzwischen so verrufen, dass die nüchternen gesellschaftspolitischen Ziele, die den Angriffen zugrunde lagen, völlig überschattet wurden – dass man Fox nicht mochte beispielsweise, dass WikiSecrets »beschissen« war, dass die NATO gegen Hacker mobil machte oder die Verurteilung der mutmaßlichen Aktivitäten von Unveillance in Libyen. Das war eine beträchtliche Anzahl von Zielen. Die Gruppe griff offenbar nun alles und jeden an – nur weil sie es konnte.
Einigen Mitgliedern aus der zweiten Reihe der Gruppe passte das überhaupt nicht. Der Hacker Recursion kam am 3. Juni in den #pure-elite-Chatroom, nachdem er die Ereignisse um Infragard verfolgt hatte. Er war an diesem Hack nicht beteiligt gewesen und reagierte schockiert auf die Medienberichte. »Verdammte Scheiße«, schrieb Recursion. »Was zum Teufel ist da heute passiert?« »Ziemlich viel«, antwortete Sabu und fügte ein Lächeln an. »Schau mal auf Twitter.« »Hat LulzSec den USA den Krieg erklärt?«, merkte Joepie süffisant an. »Das Wesentliche habe ich mitbekommen«, schrieb Recursion und schien sich anderen Dingen zuzuwenden. Er sagte nichts mehr zu diesem Thema, aber zwanzig Minuten später verließ er den Kanal für immer – offenbar nach einer privaten Unterredung mit Sabu.
Sabu war sehr enttäuscht, wenn ihn jemand mitten in der Schlacht im Stich ließ. Er fand das respektlos. Aber dann machte er sich zügig daran, die verbliebenen Truppen um sich zu scharen. Sabu also kam wieder in den Chatroom und meldete sich bei der Handvoll Beteiligten. »Also, Leute. Alle, die in dieser Sache noch bei uns sind, bleibt wachsam und passt auf, dass ihr unter allen Umständen hinter VPNs in Deckung bleibt. Und keine Angst. Alles in Ordnung.« »Sabu, sind bei uns Leute abgesprungen?«, fragte Neuron. »Ja.« »Wer?« »Recursion und Devurandom sind in Ehren ausgeschieden«, antwortete er, »weil ihnen die Sache zu heiß wird. Euch ist schon klar, dass wir heute dem FBI eins verpasst haben. Das bedeutet, dass jeder hier unbedingt sicher vorgehen muss.« Dies war eine ernste Warnung vor dem, was LulzSec an Klagen drohte, falls Mitglieder geschnappt wurden.
Einige Mitglieder beschrieben, wie sie ihre Sicherheitsvorkehrungen verstärkten. Storm besorgte sich ein neues Netbook und löschte seinen alten Computer komplett. Neuron machte genau dasselbe. Er benutzte ein Virtual Private Network namens HideMyAss. Auch Topiary nutzte die Dienste dieser Firma mit Sitz in England und empfahl sie.
»Hast du die PBS [Chat]-Protokolle gelöscht?«, fragte Storm bei Sabu an. »Ja. Alle PBS-Protokolle sind gelöscht.« »Dann bin ich für den nächsten Einsatz bereit«, antwortete Storm. Sabu tippte einen Smiley. »Wir sind gut«, sagte er. »Wir haben ein gutes Team hier.«
Aber es waren doch nicht alle gut, und die Protokolle waren auch nicht alle gelöscht. Der etwas zurückhaltende LulzSec-Mitarbeiter aus der zweiten Garde namens M_nerva, der den anderen wenige Tage zuvor eine »gute Nacht« gewünscht hatte und von dem danach nicht mehr viel zu hören gewesen war, hatte die Chatlogs des #pure-elite-Kanals von sechs Tagen gesammelt und wiederholte dann Laurelais Verzweiflungstat vom Februar: Er gab die Protokolle weiter. Am 6. Juni gab die Security-Website seclists.org die kompletten #pure-elite Chatlogs heraus, die sich auf Sabus privatem IRC-Server befunden hatten. Aufgrund der undichten Stelle war nun peinlicherweise erwiesen, dass man nicht allen auf #pure-elite zu hundert Prozent trauen konnte und dass LulzSec entgegen vollmundiger Behauptungen doch Schwachstellen besaß. Die Mannschaft trat sofort in Aktion, denn es musste die Nachricht verbreitet werden, dass Spitzel nicht geduldet wurden, auch wenn M_nerva dem Vernehmen nach von einem anderen Hacker namens Hann dazu überredet worden war, die Logs herauszugeben.
Sie wussten, dass sie herausfinden konnten, wer M_nerva wirklich war, weil einer der Black Hats, die LulzSec unterstützten, Zugang zu praktisch jedem existierenden Account
Weitere Kostenlose Bücher