Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
Deface-Botschaft fehlte es außerdem am schrägen Einfallsreichtum, der die anderen Angriffe der Gruppe ausgezeichnet hatte. Topiary wusste das damals nicht, aber Black hatte die Seite höchstwahrscheinlich selbst entstellt, um der White-Hat-Firma dringend benötigte Geschäftskunden in die Arme zu treiben. (Ein Jahr später existierte die Firma nicht mehr, und ihr Gründer hatte sich bei Anonymous und AntiSec eingereiht.)
In einem anderen Teil der Welt gründete die brasilianische Hardcore-Hackergemeinde ihre eigene Variante von LulzSec namens LulzSec Brazil. Vorübergehend erschien auf der Bildfläche auch eine Hackergruppe, die sich LulzRaft nannte. Andere Black-Hat-Hacker schickten weitere Hinweise. Tag für Tag erhielten die Leute von LulzSec Dutzende von Links zu Webseiten, bei denen man sich mit Viren infizieren konnte, aber es waren nur wenige wirklich ernsthafte Sicherheitsrisiken darunter, dafür jede Menge Datenfriedhöfe: 1.000 Benutzernamen und Passwörter hier, weitere 500.000 da. Häufig waren es Daten von Spielunternehmen, auf die es die Hacker paradoxerweise besonders abgesehen hatten, da viele von ihnen selbst Spieler waren. Sie wollten die Daten über LulzSec leaken, weil sie es sich nicht selbst trauten, das Material aber nicht nutzlos herumliegen lassen wollten. Das Team musste sorgfältig prüfen, was es davon ins Netz stellte – Topiary wusste aus seiner Zeit bei AnonOps nur zu gut, dass man nicht jeder Bitte nachkommen durfte.
Obwohl so vieles gleichzeitig passierte, dass Topiary nur mit Mühe die Oberhand behielt, war LulzSec dabei, die Angriffe in noch rascherer Folge anzukündigen. Das Team saß auf einem ganzen Berg ungenutzter, meist von anderen Hackern zur Verfügung gestellter Daten, die auf Veröffentlichung warteten. Das Pentagon hatte den perfekten Grund geliefert, Infragard endgültig hochgehen zu lassen, aber schon bald würde man nicht mehr auf den passenden Moment warten können. Dann kamen die Angriffe einer nach dem anderen wie Schnellfeuer.
Vor diesem Hintergrund fragte Topiary an jenem Mittwochabend, dem 8. Juni, bei Sabu an, ob er da sei und reden wolle. Er hatte auf einen einfachen Chat über Sicherheit oder vielleicht über das Leben im Allgemeinen gehofft, aber Sabu antwortete nicht. Wenige Stunden zuvor hatte Monsegur vor Gericht die Vereinbarung mit dem FBI unterschrieben. Sabu war nun schon seit mehreren Stunden offline, und Topiary konnte sich einer dunklen Vorahnung nicht erwehren.
»Ich mache mir so langsam Sorgen, dass es tatsächlich zu Festnahmen kommen könnte«, bemerkte er an diesem Abend in einem seltenen Gefühlsausbruch. Es lag nicht an den feindlichen Hackern, an Jester oder an der Bitcoin-Spende, die aus heiterem Himmel über sie gekommen war. Backtrace hatte eben die Datei veröffentlicht, in der die Mitglieder von LulzSec gedoxt werden sollten, aber Topiary war sich eigentlich sicher, dass die Namen auch diesmal nicht stimmten. »Ich habe das komische Gefühl, dass da etwas auf uns zukommt, ich weiß nicht, warum.«
Er erinnerte sich daran, dass er nach dem Leak von M_nerva wenige Tage zuvor Sabu gegenüber ganz ähnliche Befürchtungen geäußert und dieser mit einem Mal ebenfalls ängstlicher gewirkt hatte. (Das war noch vor Sabus Verhaftung gewesen.) Topiary war immer der ruhende Pol der Gruppe gewesen – sozusagen Sabus Gewissen und Verstand. Wenn nun sogar Topiary nervös wurde, dann war das für Sabu vielleicht ein Zeichen, dass sie zu weit gegangen waren. Die beiden unterhielten sich weiter und kamen zu dem Schluss, dass sie trotz des Drucks, dem sie durch ihre Aktionen nun ausgesetzt waren, nicht einfach aufhören konnten. Die Sache hatte inzwischen eine ungeheuere Eigendynamik entwickelt, und außerdem waren die Erwartungen sehr hoch. Sie mussten weitermachen und sich einfach darauf verlassen, dass es ihnen auch weiterhin gelang, nicht entdeckt zu werden. Tief im Innern hatte sich jeder wohl damit abgefunden, dass er irgendwann auffliegen konnte.
Vertraute Topiary nun Sabu und Kayla in vollem Umfang? Als Antwort auf diese Frage schrieb er an jenem Mittwochabend, er traue ihnen »mehr als allen anderen« in der Gruppe, und Sabu insbesondere. »Sabu ist für mich wichtiger als praktisch jeder andere online«, meinte er. »Wenn ich festgenommen werde, dann werde ich die Gruppe nicht verraten.« Das ungute Gefühl rührte zumindest zum Teil daher, dass Sabu mehr als ein Jahrzehnt mit Social Engineering zugebracht hatte, wie auch daher, dass
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