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Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Titel: Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Parmy Olson
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Kamera und mit der anderen einen Schuh über seinen Kopf hielt. Sich einen Schuh über den Kopf zu halten war auf 4chan Symbol für das Eingeständnis der totalen Niederlage in einem Streit oder nach einem Internetangriff. (Suchen Sie bei Google Image nach »shoe on head« und sehen Sie selbst. Merkwürdigerweise lächeln viele Opfer in die Kamera.) Außerdem sollte Josh noch ein Nacktfoto seiner Freundin schicken, in dem diese ein Schild mit der Aufschrift »/b/« hochhielt.
    Josh tat wie ihm geheißen, in dem Glauben, dass William, ein junger Arbeitsloser, der noch zu Hause wohnte und die ganze Nacht aufgeblieben war, eine Gruppe erfahrener Hacker sei. William schickte beide Bilder an Jen weiter. Inzwischen war es sieben Uhr morgens, und die anderen Bewohner des Viertels brachen langsam zur Arbeit auf. William kroch ins Bett zurück.
    Nicht alle /b/-User taten es William gleich, aber er und viele andere auf 4chan lebten geradezu für diese nächtlichen Abenteuer. Obwohl er bloß ein junger Mann war, dem es nicht gelingen wollte, eine feste Arbeitsstelle zu behalten, konnte er hier in wenigen Stunden jemandem auf der anderen Seite der Welt genug Angst machen, um ihn dazu zu bringen, etwas für die meisten von uns Unvorstellbares zu tun: sich auszuziehen, ein Foto zu schießen und es an einen völlig Fremden zu schicken. /b/ verschaffte ihm ein einmaliges Gefühl von Macht und Unberechenbarkeit, das viele andere wie ihn zu Anonymous zog und ihn süchtig machte. Mit der Zeit fanden die einzelnen User ihre Rollen in der ständig wechselnden Menge. Für den vorwitzigen und redegewandten Anon, der sich Topiary nannte, war diese Rolle, eine Vorstellung zu geben.

Kapitel 3: Kommt alle hier rein
    Der Raid gegen Aaron Barr im Februar 2011 sollte in mehrfacher Hinsicht zu einem Wendepunkt für Anonymous werden: Er zeigte, dass das Kollektiv durch den Datendiebstahl viel nachhaltigere Wirkung erzielen konnte als durch bloßes Blockieren einer Webseite. Als Barrs E-Mails erst einmal veröffentlicht waren, brachten sie ihn und seine Kollegen und Kunden in wirkliche Schwierigkeiten. Außerdem hatte sich gezeigt, wie sehr der Einsatz von Twitter die Wirkung eines Raids verstärken konnte. Dabei war es ganz einfach gewesen, sich in Barrs Twitter-Account einzuloggen.
    Topiary hatte einfach das Passwort kibafo33 ausprobiert, das Barr überall verwendete, und es hatte auch zu diesem Account gepasst. Der Strom boshaften Humors, den Anonymous daraufhin über den gehackten Account verbreitete, sollte zu einem Höhepunkt des Raids nicht nur für andere Anons werden, sondern auch für die Presse. Diese Tweets gaben Anonymous ein ganz neues Image und zeigten der Welt, dass hier kein bösartiges, finsteres Netzwerk Komplotte schmiedete, sondern dass die Angriffe auch ihre lustige Seite hatten.
    Topiary hatte sich schon immer gerne in spannende neue Abenteuer wie den Raid auf HBGary gestürzt. Sein wirklicher Name, den er sorgfältig geheim hielt, lautete Jake Davis. Schon seit seiner Kindheit hatte alles Neue ihn gereizt; das britische TV-Mathematikquiz Countdown fand er viel spannender als Comics. Zahlen faszinierten ihn so sehr, dass seine Mutter ihm schon im Alter von zwei Jahren einen Taschenrechner schenkte. Er tippte fröhlich auf den Zahlentasten herum, während sie ihn im Kinderwagen durch den Supermarkt schob. Der Junge wuchs zu einem der seltenen Menschen heran, die sowohl kreatives wie analytisches Talent haben – seine rechte und linke Hirnhälfte waren gleichermaßen hoch entwickelt. Er liebte die Welt der Zahlen, aber auch die der Musik; später entwickelte er eine Vorliebe für Avantgarde-Musiker und -Bands, die er sich im Internet zeitgleich mit Freunden anhörte, um eine Art religiöses Erlebnis zu simulieren. Jake verband mit einzelnen Zahlen bestimmte Farben: die Sieben war orange, die Sechs war gelb – er sah die Zahlen nicht als Farben, aber sie fühlten sich genauso an wie die entsprechenden Farben, und diese Verbindung half ihm als Kind beim Rechnenlernen – wenn er sich 42 als gelb vorstellte, erinnerte er sich leichter an das Ergebnis von 6 mal 7; 81 war eine blaue Zahl, denn auch die Neun war blau, und so weiter. Er ging ganz selbstverständlich davon aus, dass alle Menschen so dachten, bis er erfuhr, dass es sich um eine »Störung« namens Klang-Farben-Synästhesie handelte.
    Als Jake sechs Jahre alt war, zog seine Mutter mit ihm von Canterbury auf die Shetlandinseln nördlich von Schottland, und zwar, weil

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