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Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Titel: Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Parmy Olson
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wenn jemand eine Antwort schrieb, stand er kurzfristig wieder ganz oben. Je mehr Antworten ein Thread anzog, desto länger blieb er auf der ersten Seite, was wiederum mehr Aufmerksamkeit und mehr Reaktionen einbrachte.
    Ein Raid ließ sich am besten erfolgreich durchziehen, wenn möglichst viele User sich daran beteiligten. Aber dieser Eindruck konnte auch manipuliert sein, wenn vier oder fünf Leute sich zu einem Raid verabredeten und es so aussehen ließen, als ob das Gruppenbewusstsein sich ihnen anschließe, indem sie immer wieder in den Thread schrieben. Manchmal half es, manchmal auch nicht. In diesem Spiel ging es um Sekunden – wenn der Erstposter zwei Minuten ausfiel, war die Chance vertan, und das Gruppenbewusstsein verlor das Interesse an der Sache.
    Ein weiterer Grund, sich auf /b/ herumzutreiben, waren die Gelegenheiten, neue Tricks zu lernen – wie man Pädophilen Streiche spielte oder jemandes private Daten ausgrub. Schon bald ging es bei den Anfragen wegen Nacktfotos auf /r/ nicht mehr nur um Stars und Prominente, sondern um persönliche Bekannte, Exfreundinnen oder Feinde von /b/tards. Die /b/-User brachten sich gegenseitig die besten Tricks bei, während sie versuchten, an selbstgeschossene Sexfotos heranzukommen – etwa, wie man eine bestimmte Zahlenfolge aus der URL eines Facebook-Fotos oder Webseiten-Adressen nutzen konnte, um an das Profil und die Daten des Betreffenden heranzukommen. Die Methoden waren noch ziemlich primitiv und längst nicht so ausgefeilt wie die von Internetkriminellen oder der Hacker, die sich HBGary Federal vornahmen.
    Seit er achtzehn Jahre war, legte sich William eine Sammlung von Nacktfotos und persönlichen Daten anderer Menschen in geheimen Ordnern auf dem Familienrechner an, darunter auch von mutmaßlichen Pädophilen und von Frauen, die er im Netz getroffen hatte. Bald ermutigte er andere Neulinge, sich auf 4chan zu informieren und mehr zu erfahren. In einem weiteren geheimen Ordner namens »info« speicherte er die Methoden, oft als Screenshots, mit denen er schnüffelte und manipulierte – er konnte sich zum Beispiel in Cola-Automaten einhacken und umsonst Getränke herausholen, wie er in den Threads über »Real Life Hacking« berichtete, und Webseiten abschießen. Das Forum /rs/ (»rapid share«, schnelle Weitergabe), auf dem man Links zu beliebten Filesharingseiten finden konnte, wurde zu einer Quelle kostenloser nützlicher Programme wie Auto-Clicker, mit dem man Online-Umfragen beeinflussen oder eine Seite mit Anfragen verstopfen konnte. Wenn man nur lange genug auf der Lauer lag, so sagte er sich, kam man irgendwann an alles, was man wollte.
    William fühlte sich hauptsächlich zu Frauen hingezogen. Beim Lurken auf 4chan fiel ihm irgendwann auf, dass ziemlich viele User bekannten, auf einmal bisexuelle oder homosexuelle Neigungen zu verspüren. Immer wieder stieß er auf Threads mit dem Titel »Wie schwul bist du geworden, seit du /b/ besuchst?« Viele männliche Heterosexuelle auf /b/ stellten fest, dass ihre Reaktion auf schwule Pornografie von negativ über neutral zu positiv umschwenkte. William stellte an sich selbst nichts Derartiges fest, aber im Laufe der Jahre hatte er so viele Schwulenpornos gesehen, dass sie ihn auch nicht mehr abstießen. Es war fast so etwas wie Penismüdigkeit.
    Auch Williams moralische Einstellung wurde zunehmend laxer, während er permanent Splatterszenen, Vergewaltigungen, Rassismus und Misshandlungen konsumierte – und darüber lachte. Alles das war »cash« oder »win« (gut und akzeptabel). Die /b/tards kannten durchaus den Unterschied zwischen Gut und Böse – sie wandten ihn auf 4chan bloß nicht an. Alle akzeptierten, dass man wegen der Lulz da war und dass man Lulz eben oft nur bekam, wenn man andere verletzte. Der spätere Anonymous-Slogan »Einzeln sind wir längst nicht so grausam wie gemeinsam« war da nur folgerichtig. Williams zunehmende Ambivalenz, was Sex und Moral anging, wiederholte sich massenhaft bei den anderen 4chan-Usern und bildete eine der Grundlagen für den Sektencharakter von Anonymous.
    Williams Online-Spionage war inzwischen zu einem Vollzeitjob geworden, der ihm Erfüllung und Befriedigung verschaffte. Er musste gar nicht die Rechner anderer User hacken, um an ihre privaten Daten zu kommen – es genügte, wenn er mit ihnen sprach und zu »Social Engineering« griff, zu sozialer Manipulation oder, geradeheraus gesagt, zu Lügen.
    Als William sich an jenem kalten Februarnachmittag aus dem

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