Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
seinen echten Namen und die Wohnadresse. Wenn der Betreffende aber ein VPN benutzte, dann fanden andere, die ihn doxen wollten (zum Beispiel die Polizei oder auch rivalisierende Hacker), lediglich eine gefälschte IP-Adresse, die manchmal sogar zu einem völlig anderen Rechner in einem anderen Land gehörte.
»Trolling« war eine verschärfte Form des Streichespielens. Die Situation, in die das Opfer gebracht wurde, war so peinlich oder beängstigend, dass es wirklich emotionalen Schaden nahm. Manche Menschen, die in der realen Welt nicht akzeptiert wurden, fanden im Trolling einen leichten Weg zur Selbstbestätigung. Nachdem Kayla dem Forum, das sie gehackt hatte, ihre Fähigkeiten gezeigt hatte, fing sie an, andere Menschen zu trollen, weil sie das aufregend fand. Sie wurde außerdem beim kleinsten Zweifel an ihren Fähigkeiten wütend und musste sich fortwährend selbst beweisen. Ihre Aggressivität ließ sie an anderen Hackern, an »furfags« (»Pelzschwuchteln«, Leute mit einer Neigung zu Sex mit Tieren) und an Internet-Pädophilen aus. Immer, wenn sie und andere Hacker die persönlichen Daten eines solchen Menschen herausfanden, machten sie dem Opfer zunächst Angst, um die Daten dann im Netz zu posten oder damit zu drohen, sie an die Polizei weiterzugeben. Wahrscheinlich 2008 wurde Kayla dann zu Partyvan eingeladen, einem weit verzweigten Netzwerk von Chatrooms, dessen Initiatoren andere IRC-Netzwerke zusammenschließen wollten, die mit Foren wie 4chan vernetzt waren. Partyvan sollte die Basis für eine bessere Zusammenarbeit bei Raids werden und jenem Internet-Phänomen ein Zuhause bieten, das immer öfter als Anonymous bezeichnet wurde.
Raids wie der auf Habbo Hotel waren einen Schritt komplexer als Trolling, weil sich hier zahlreiche Nutzer zusammenschließen mussten, um gemeinsam Unheil zu stiften. Diese Raids waren es dann, die Anonymous den ersten Auftritt in den Mainstream-Medien verschafften – vielleicht überrascht es nicht, dass es sich um einen Sender von Fox TV News in Los Angeles handelte. Der im Juli 2007 ausgestrahlte Beitrag war wie üblich sensationsheischend aufgemacht: Zuerst kamen unheimliche Soundeffekte und grelle Lichtblitze. »Sie nennen sich Anonymous, sie sind Hacker auf Steroiden«, sagte der Moderator, »sie behandeln das Netz wie ein Wirklichkeit gewordenes Videospiel.« Hände tippten, als Silhouette gefilmt, auf einer Tastatur. »Zerstörung, Tod, Angriff«, tönte eine körperlose Stimme. »Drohungen von einer Hackerbande namens Anonymous.« Der Beitrag enthielt ein Interview mit einem MySpace-Nutzer namens »David«, der erzählte, wie die Unholde von Anonymous sieben seiner Passwörter geknackt hatten.
»Sie stopften sein MySpace-Profil mit schwulen Sexfotos voll«, fügte die Erzählstimme hinzu. »Seine Freundin hat sich von ihm getrennt ... Sie greifen völlig Unschuldige an wie eine Internet-Hassmaschine.« Die Wörter »Internet-Hassmaschine« erschienen auf dem Bildschirm. Die Erzählstimme fuhr fort, dass Anonymous Todes- und Bombendrohungen gegen Sportstadien ausgesprochen habe; hierbei handelte es sich allerdings um Streiche, die einzelnen /b/-Nutzern zuzuschreiben waren.
»Meiner Meinung nach sind das Terroristen«, erklärte eine als Schattenriss gefilmte Frau; ein Clip eines explodierenden gelben Lieferwagens wurde eingespielt. »Ihren Namen haben sie von ihrer geheimen Webseite«, fuhr der Reporter fort. Ominöse Musik setzte im Hintergrund ein. »Wer dort postet, muss anonym bleiben.« »Sie machen das einfach aus Spaß«, sagte ein wieder als Silhouette aufgenommener Mann mit tiefer, verzerrter Stimme. Fox News behauptete, er sei ein ehemaliger Hacker, der sich von Anonymous distanzieren wolle. »Sie tun es wegen der ›Lulz‹, wie sie es nennen.« »Lulz«, erklärte der Reporter, während das Wort in großen Buchstaben zu Fanfarenstößen eingeblendet wurde, »ist eine verzerrte Fassung von LOL, und das bedeutet ›laughing out loud‹, lautes Loslachen ... Oft sind ihre Streiche antisemitisch oder rassistisch motiviert.«
Dieser Nachrichtenbeitrag war bereits ein Beispiel für die kommende übertriebene Darstellung der gelangweilten Streiche unterforderter Teenager, einer undefinierbaren Ansammlung meistens junger Männer, die sich spontan gegen ein bestimmtes Ziel zusammenfanden, durch die Medien. Wenn es die von Fox sogenannte »Hassmaschine« wirklich gab, dann bestand sie aus den IRC-Netzwerken und den Foren. In Wirklichkeit waren die Anons
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