Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
laufen lassen.
Um 14 Uhr Ostküstenzeit am Montag griff AnonOps die Webseiten der schwedischen Staatsanwaltschaft an, die Assanges Auslieferung verlangte, um ihn zu den Vorwürfen der sexuellen Belästigung von zwei Frauen befragen zu können. Viele Anonymous-Mitglieder sahen diese Anklage als Vorwand an. Wieder waren etwa fünfhundert Rechner beteiligt, die mit der LOIC feuerten, und mehr als tausend waren im Hauptchatroom eingeloggt. Um 18.52 Uhr gab AnonOps ein neues Ziel bekannt: EveryDNS.com, der Server-Provider, der WikiLeaks.org hinausgeworfen hatte. Eine Minute später brach die Seite zusammen. Um 20 Uhr verlagerten sich die Angriffe auf die Webseite von US-Senator Joseph Lieberman, dem Vorsitzenden des Senatsausschusses für Heimatschutz und Regierungsangelegenheiten, der Amazon gedrängt hatte, WikiLeaks nicht auf seinen Servern zu dulden. Alle diese Seiten waren minuten- oder stundenlang nicht erreichbar – eine nach der anderen, wie fallende Dominosteine.
Am frühen Morgen des 8. Dezember nach Westküstenzeit zählte Correll insgesamt vierundneunzig Stunden Ausfallzeit für die betroffenen Seiten seit dem 4. Dezember. Am schlimmsten hatte es PostFinance und den PayPal-Blog getroffen. Aber das war erst der Anfang. Die Nachricht verbreitete sich, dass man sich im AnonOps-Netzwerk einfinden müsse, wenn man WikiLeaks unterstützen wolle. Neulinge konnten sich in mehreren allgemeinen Chatrooms erst einmal einen Überblick verschaffen: In #target ging es um zukünftige oder laufende Attacken, während man in #lounge einfach entspannt plaudern konnte. In #setup wurde es ernst: Hier fanden die neuen Kämpfer einen Link, um sich die LOIC herunterzuladen, und Hilfe zur Anwendung durch erfahrene User.
Der Chatroom bot einen Link zu einem digitalen Flyer mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung unter dem Titel »WIE MAN SICH DER VERDAMMTEN GRUPPE ANSCHLIESST – DDoS WIE DIE PROFIS.«
1. Hol dir die neueste LOIC-Version von github.com/NewEraCracker.
2. BRING DEINEN GOTTVERDAMMTEN NETZANSCHLUSS AUF TOUREN. DAS IST VERDAMMT WICHTIG. (Wenn die Breitbandverbindung immer wieder aussetzte, funktionierte die LOIC nicht richtig.)
Alles ging sehr schnell. Topiary hatte inzwischen einen höheren Status als »Moderator« in den PR-Chatrooms, was ihm die Möglichkeit gab, andere hinauszuwerfen, und ihm generell mehr Aufmerksamkeit verschaffte. Sein Enthusiasmus, seine Ideen und seine geistreichen Bemerkungen fielen einem der AnonOps-Betreiber in #command auf, und Topiary erhielt eine private Einladung in einen geheimen Kommando-Chatroom, von dem er noch nie gehört hatte. Gespannt loggte er sich ein.
Hier fand unter den Betreibern ein aufgeregtes Gespräch über den Zustrom an Freiwilligen und die plötzliche Aufmerksamkeit der Medien statt. Sie entschlossen sich, jetzt ein größeres Ziel anzugreifen: die Hauptwebseite von PayPal. Schnell wurden Datum und Zeit festgelegt und über die öffentlichen Chatrooms und Twitter verbreitet. Topiary und die anderen in #command rechneten als Reaktion mit einem stärkeren Zulauf als sonst, aber nichts bereitete sie auf das vor, was dann passierte.
Am 8. Dezember, nur vier Tage nach dem ersten AnonOps-Angriff auf den PayPal-Blog, war die Besucherzahl des AnonOps-Netzwerks von dreihundert auf siebentausendachthundert gestiegen. Sehr viele User meldeten sich gleichzeitig an, sodass Topiarys Chatprogramm ständig abstürzte und neu gestartet werden musste. Die Dialogzeilen im Hauptchatroom, der immer noch #operationpayback hieß, liefen so schnell den Bildschirm hinauf, dass kaum eine sinnvolle Unterhaltung möglich war. »Es war der absolute Wahnsinn«, erinnerte sich Topiary später. »Einfach irrsinnig.« »Glaubt ihr, das ist der Anfang einer größeren Sache?«, fragte jemand namens MookyMoo mitten im Getümmel dieses Tages im Hauptchatroom. »Ja«, schrieb ein Moderator namens shitstorm zurück.
Oft wurden Witze über die Berichterstattung der Mainstream-Medien zu den Angriffen gemacht. »Sie nennen uns Hacker«, schrieb jemand namens AmeMira. »Dabei hacken wir doch gar nicht«, erwiderte ein anderer User namens Lenin. Das IRC-Netzwerk drohte unter der Flut von Nutzern zusammenzubrechen. »Werden wir gerade angegriffen, oder sind nur zu viele Leute auf diesem Server?«, fragte einer der Teilnehmer. Als das LOIC-Netzwerk nicht mehr funktionierte, wurde den Neuankömmlingen erklärt, wie sie ihre »Kanonen« auf manuellen Modus umstellen, die Zieladresse direkt eintippen und auf
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