Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
abschrecken und auch unerwünschte Aufmerksamkeit auf ihren Kanal lenken, sowohl von anderen Hackern als auch von der Polizei. Aber Civil und Switch konnten ihren Mund nicht halten und posaunten überall herum, wie groß und mächtig ihre Botnets seien. Angespornt durch die Medien und ihr Publikum in #command wollten sie unbedingt wieder zuschlagen. Die Moderatoren stimmten zu; wenn man die Kraft für einen weiteren Schlag hatte, dann sollte man ihn auch führen. Sofort wurde ein neuer Angriff auf PayPal für den 9. Dezember angesetzt, wieder am Morgen nach Ostküstenzeit, um sich die Aufmerksamkeit der amerikanischen Internetnutzer und der US-Medien zu sichern.
Dieses Mal waren Begeisterung und Zusammenarbeit weniger ausgeprägt. Es war erst ein Tag vergangen, seit sich siebentausendachthundert Nutzer im Hauptchatroom von AnonOps getummelt hatten, aber die Anzahl der LOIC-Schützen ging immer weiter zurück. Als dann der Zeitpunkt für den zweiten Angriff auf PayPal gekommen war, wurde den Teilnehmer plötzlich gesagt, sie sollten warten. Eine Erklärung gab es nicht. Topiary wartete ebenfalls; er war in #command eingeloggt, um sofort seine erste Presseerklärung schreiben zu können, wenn es losging. Das Problem war ganz einfach, dass Civil – in einem unbekannten Teil der Welt – noch im Bett lag. »Gibt es irgendetwas zu berichten?«, wollte Topiary wissen. »Bis jetzt passiert nämlich gar nichts.« »Wir müssen noch warten, bis Civil online ist«, war die Antwort.
Eine Stunde später loggte Civil sich endlich mit einigen mürrischen Bemerkungen in #command ein. Die Moderatoren ließen die Freiwilligen ihre (eigentlich wirkungslosen) Kanonen abfeuern, und Civil schaltete sein Botnet ein und legte PayPal.com lahm. Dann loggte er sich aus und ging frühstücken.
Topiary sah die unsichtbare Macht der Botnets bestätigt. Bei der ersten Attacke auf PayPal hatten sie die Freiwilligen nur unterstützt, weil es so viele waren, aber bei diesem zweiten Mal war das Botnet alleine effektiv gewesen. Diesen zweiten Angriff hätte es außerdem gar nicht gegeben, wenn Civil den Mund nicht so voll genommen hätte. Die Moderatoren wollten Anonymous selbst und die Medien immer noch glauben lassen, dass es eine Kollektivaktion Tausender Teilnehmer gewesen sei. Auch Topiary ignorierte die unbequeme Wahrheit in seiner Pressemitteilung; dort hieß es nur, die »Gruppe« habe zurückgeschlagen.
Nach dem zweiten Angriff gegen PayPal wurden Civil und Switch noch siegessicherer, und die AnonOps-Moderatoren ließen sie für den 12. Dezember eine Attacke auf MasterCard.com ansetzen. Datum und Uhrzeit wurden im Internet verbreitet, obwohl es nicht darauf ankam, wie viele Freiwillige sich meldeten, wenn die Botnets die eigentliche Arbeit erledigten. Dieses Mal waren es nur etwa neunhundert Nutzer, die ihre LOICs an das AnonOps-Chatnetzwerk angeschlossen hatte und auf MasterCard.com abfeuerten, aber das spielte keine Rolle. Dank Civil und Switch fiel die Webseite eines der weltgrößten Finanzdienstleister pünktlich aus, und zwar zwölf Stunden lang.
Mit der Zeit kamen AnonOps noch einige weitere Botmaster zu Hilfe. Einer davon war ein junger Hacker namens Ryan. Er war neunzehn Jahre alt und wohnte noch zu Hause bei seinen Eltern im englischen Essex. Bei Ryan, der mit richtigem Namen Ryan Cleary hieß, wurde später das Asperger-Syndrom diagnostiziert. Er verließ kaum jemals sein Zimmer und ließ sich sein Essen von seiner Mutter vor die Tür stellen. Sein hartnäckiger Drang nach Macht im Netz war allerdings erfolgreich gewesen: Mit den Jahren hatte er Server und ein Monster-Botnet aus angeblich 1,3 Millionen Rechnern angehäuft. Andere Quellen im Internet sprechen nur von 100.000, aber das ist immer noch ungeheuer viel. Er hatte das Botnet zwar nur gemietet, aber für einen kleinen Zusatzverdienst akzeptierte er auch Untermieter.
Genau wie Civil und Switch gab auch Ryan gegenüber Chatmoderatoren und Hackern gerne mit seinem Botnet an, hielt aber seine Größe vor den neuen Freiwilligen geheim. Als im Februar zum Beispiel etwa fünfzig Anonymous-Mitglieder bekanntgaben, dass sie kleinere italienische Regierungswebseiten angriffen, unterstützte Ryan sie im Geheimen mit seinem Botnet. Wenn jemand während des Angriffs »!botnum« eintippte, um zu sehen, wie viele Rechner am Angriff teilnahmen, erschienen immer 550.
»Hast du nur 500 Rechner aus deinem Botnet eingesetzt?«, fragte Topiary Ryan vertraulich. »Nein«, schrieb Ryan
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