Inside Polizei
»Imagegewinn« und »Standortstärkung« schwappten daraufhin durch die renovierungsbedürftigen Rathausflure vieler Rhein-Ruhr-Städte. Den Anfang setzte Essen 2007 mit 1,2 Millionen angegebenen Besuchern, es folgte 2008 Dortmund mit 1,6 Millionen Partygästen, 2009 war Bochum fest eingeplant, 2010 Duisburg und 2011 Gelsenkirchen. Doch Bochum scherte 2009 unerwartet aus der Reihe der widerspruchslosen Enthusiasten aus. Nach einem prüfenden Blick in die Unterlagen der Veranstaltungsfirma und einer Rücksprache mit Polizei und Feuerwehr kamen die Entscheidungsträger dieser Stadt zu einem unerwarteten Ergebnis. Die Bochumer Bürgermeisterin und der Polizeipräsident stemmten sich gegen die aufgebaute Erwartungshaltung einer ganzen Region, besonders der dort politisch verantwortlich handelnden Personen, und sagten das Massen-Event kurzum wegen Sicherheitsbedenken ab. Die folgenden Reaktionen übertrafen die Befürchtungen der nach bestem Wissen und Gewissen Agierenden um ein Vielfaches. Der Geschäftsführer der Kulturhauptstadt 2010 wird mit folgenden Worten bezüglich der Absage zitiert: »... sie konfrontiert uns mit allem, was wir schon glaubten überwunden zu haben: Kleinstadtdenken, Provinzialität, das ganze zähe Grau des alten Ruhrgebiets. ... Menetekel für die gesamte Kulturhauptstadt.«
Der Bochumer Polizeipräsident sah sich genötigt, seine Entscheidung öffentlich in einem Brief zu rechtfertigen: »Was denken sich eigentlich Politiker und Journalisten, die die Metropole Ruhr als Monstranz ihrer Popularität vor sich hertragen, wenn es um die Verantwortung derer geht, die als Amtsträger für die Folgen ihres Handelns persönlich haften?«
Doch die diffamierenden Vorhaltungen sollten nicht verstummen: peinlich, provinziell, nur Deppen am Werk und eine Blamage fürs Ruhrgebiet, so schallte es den Aufrechten entgegen.
All das, was in Bochum nach gründlicher Prüfung nicht realisierbar schien, war im knapp 40 Kilometer entfernten Duisburg nur ein Jahr später offiziell kein Problem mehr. Und dies trotz zahlreicher Sicherheitsbedenken von unterschiedlichster Seite und einer miserablen städtischen Finanzlage – Duisburg stand unter Kommunalaufsicht und verfügte nur über einen Nothaushalt.
Wie hoch war die erwartete Besucherzahl? Wie viele Besucher passten auf einen Quadratmeter? Wo lag die Belastungsgrenze des Veranstaltungsgeländes und der gesamten Stadt? Das Kalkulieren mit Besucherströmen begann. Wie würden sie anreisen und wie lange auf dem Party-Gelände verweilen? Mögliche Unglücksszenarien wurden durchgespielt: Unwetter, größere Schlägereien, Versorgungslücken, Panik der Massen … War ausreichend für eine medizinische Erst- und Notversorgung gesorgt, reichten die bereitgestellten Toiletten?
Der Krisenstab und die Organisatoren waren sich über das Worst-Case-Szenario einig und antworteten entsprechend übereinstimmend auf Presseanfragen:
»Regen. Ein Unwetter.«
Jegliche Überlegungen und Vorarbeit waren nach Meinung von Verwaltung, Politik, Veranstalter und Polizei in Duisburg offenbar mit den besten Resultaten beendet worden. Denn mit welcher Begründung wurde ansonsten die Genehmigung für die »größte Party der Welt« nur wenige Stunden vor ihrem Beginn veranlasst?
Die Profilierungssucht einiger Politiker und die Geschäftsinteressen einer Fitness-Kette bezüglich ihres teuer erkauften Marketinginstruments wischten an diesem 24. Juli 2010, morgens um neun Uhr, in Duisburg alle berechtigten Sicherheitsbedenken vom Tisch. Die Tragödie nahm ihren fatalen Verlauf.
Von all dem Gezerre und Taktieren hinter verschlossenen Türen bekamen Ulrike und Patrick als Angehörige einer der 18 angeforderten Hundertschaften nicht viel mit.
Über viele Freunde verfügte die Musik mit den hämmernden Bässen in ihrer Einheit nicht. Die meisten der Kollegen konnten damit nicht viel anfangen und erwarteten einen Einsatz mit großen Menschenmassen, aber ohne besondere Vorkommnisse. Sie gingen davon aus, dass sich fast alle ihre Aufträge wie so oft auf das Absperren und Freihalten des Veranstaltungsgeländes, der An- und Abreisewege und die Lenkung der Menschenmassen beschränken würden. Ein tragischer Irrtum.
Zusätzlich stellte man sich auf einige Drogendelikte ein, vielleicht sogar einen ganzen Haufen von Straftaten im Zusammenhang mit Rauschmitteln. Dies würde aber drei Gehaltsstufen über ihnen beschlossen werden und hing davon ab, wie gründlich die Drogenkontrollen sein sollten und
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