Inside Polizei
30 Minuten vor Ort. Diese schnelle Freigabe und der sofortige Zugriff waren eher unüblich, denn normalerweise vergingen Stunden, bis endlich ein »Go« erteilt wurde. Oft wurden erst Baupläne beschafft und studiert, die Örtlichkeiten genau ausgekundschaftet und alle anderen Optionen ausgeschöpft. Toni verstand die Eile des Zugriffes nicht wirklich, denn man konnte doch einfach abwarten und den Serben mürbe werden lassen, bis irgendwann seine Kräfte erloschen und er nur noch seine Ruhe haben wollte. Solange er sich allein in seinem Häuschen aufhielt, war eine Fremdgefährdung schließlich ausgeschlossen, und im schlimmsten Fall würde er sich höchstens selbst etwas antun.
Doch er hatte diese Entscheidung ja nicht zu treffen. Die Würfel waren gefallen, und der Zugriff wurde auf 15.30 Uhr festgesetzt.
Das SEK schlich sich lautlos in seine Position. Die Männer verständigten sich ohne Worte und signalisierten sich und dem den Einsatz koordinierenden Gruppenführer ihre Bereitschaft. Der Kommandoführer zählte leise, die interne Funkanlage im Helm dämpfte seine Stimme. Eins ... Die Männer an der Tür waren bereit und angespannt.
Zwei ... Der Sicherungsschütze balancierte den richtigen Sitz seiner Sig Sauer aus.
Drei ... Toni stand hinter dem Glasscheiben-Zertrümmerer bereit und wappnete sich für einen großen Sprung.
»Go!«
Die Maschinerie setzte sich unaufhaltsam in Gang. Scheiben zersplitterten mit lautem Getöse, die Tür wurde aufgebrochen, und ein anfeuerndes »Go« hallte durch das kleine Häuschen. Das Zerbrechen der Fensterscheibe dauerte länger als die Aktion an der Tür. Toni sah, dass der Sicherungsschütze und der mit dem Taser bewaffnete Kamerad bereits im Haus waren.
Und was war mit Sascha? Wie verhielt sich der Serbe?
Der ehemalige serbische Armeeangehörige schien vom Auftritt des SEK nicht besonders beeindruckt zu sein, im Gegenteil, er war hochgradig aggressiv, hob sein Messer und stellte sich den Eindringlingen in den Weg. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Als Toni sah, dass der Taser-Schütze gleich schießen würde, setzte er zum Sprung an und hob ab. Die 50 000-Volt-Projektile bahnten sich derweil ihren Weg in Richtung von Saschas Oberkörper. Noch während er in der Luft über die Fensterbank segelte, sah Toni das Unglück nahen, aber es war zu spät, er konnte nicht mehr ausweichen.
Ein Projektil der Elektroschockpistole bohrte sich tief in Saschas Oberkörper, aber der zweite Haken hatte die Haut nicht durchstoßen, sondern blieb in seiner Kleidung hängen. Das konnte theoretisch zwar ausreichen, um den Elektroschock über eine Funkentladung zu übertragen, aber auch das funktionierte nicht. Sascha ging nur kurz in die Knie, schüttelte sich und rappelte sich sofort wieder auf. Sein Messer hielt er immer noch angriffsbereit in der Hand.
Dem SEK blieben jetzt verschiedene taktische Möglichkeiten. Mann Nummer drei konnte mit dem Langstock vorrücken und den Serben attackieren, um dem Taserschützen so wertvolle Sekunden zu verschaffen, um eine neue Kartusche zu laden. Oder sie konnten sich kurz aus dem Haus zurückziehen, um den Taser in Ruhe für einen neuen Angriff vorzubereiten. Doch Tonis Verhalten machte alle weiteren Überlegungen in Sekundenschnelle überflüssig.
Nachdem er die Fensterbank übersprungen hatte und sich schon in der Wohnung befand, konnte er sich dort das erste Mal umsehen. Sein Körper befand sich bereits im Sinken, als er ein Hindernis erspähte, das er dort nicht vermutet hatte und das niemand gesehen hatte. War der schnelle Zugriffsbefehl vielleicht doch zu überhastet und zu leichtsinnig gewesen? Jetzt war es auf jeden Fall zu spät, denn die schwere Schussweste, der Helm und die übrige Ausrüstung forderten ihren Tribut und zogen ihn unaufhaltsam nach unten. Mit einem lauten Krach landete er auf dem unerwarteten Gegenstand, Saschas Fahrrad.
Toni stürzte, und er stürzte so unglücklich, dass er die vollständige Kontrolle über seine Bewegungen und seinen Körper verlor. Völlig unkoordiniert fiel er in die Wohnung hinein und lag plötzlich schutzlos in der Reichweite von Saschas rechtem Arm, seinem Messerarm.
Eine Millisekunde lang schien die Welt stillzustehen, seine Kameraden waren starr vor Schrecken. Der Erste, der auf diese neue Situation reagierte, war Sascha. Er holte mit dem Messer aus und stach kraftvoll in Richtung von Tonis Kopf. Instinktiv reagierte dieser, drehte seinen Körper etwas, um seinen Schwerpunkt zu
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