Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)
nun jeder Steuerflüchtling – ob nun bei Sparkassen-, Volks- und Raiffeisenbanken oder privaten Geldhäusern – mit Besuchen von Steuerfahndern rechnen?
Die Zahl der Selbstanzeigen nahm zu, und mit jedem in irgendeinem deutschen Finanzamt bearbeiteten Fall kamen neue Namen von Bankberatern hinzu, die in den meisten der behandelten Vorgänge bei der Abwicklung des Kapitaltransfers behilflich waren. Und so stießen wir nach einigen Wochen auf ein weiteres Novum: auf Selbstanzeigen von Bankmitarbeitern.
Die Datenflut
Da mit jedem abgeschlossenen Fall der Steuerhinterziehung auch die Beihilfe verhandelt werden konnte, gingen zum Leidwesen der Bank nun auch Selbstanzeigen der »lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter« ein. Der Informationsfluss kannte zu jener Zeit kaum noch Grenzen. Die fortschreitende Auswertung des Pipeline-Kontos gab Aufschluss über die Geldtransfers nach Luxemburg, Gibraltar und in die Schweiz. Dazu kamen die Daten über die Verschiebung von Wertpapieren und Fonds in die besagten Länder – die Abgleichung der Saldenlisten des Erpressers mit der damals frei erhältlichen Telefonbuch-CD D1-Info der Telekom, Selbstanzeigen und schließlich Auffälligkeiten, die plötzlich aus den unterschiedlichsten Finanzämtern der Republik gemeldet wurden.
Unsere Ermittlungen ergaben in der Folgezeit, dass über das Pipeline-Konto der Bank 19,4 Milliarden Mark ins Ausland geflossen waren, wovon wir bis zum Jahr 1999 bereits 13,6 Milliarden namentlich Kunden zuordnen konnten. Selbstverständlich liefen einige Gelder auch als legale Geschäftstransfers in die fraglichen Staaten, für den größten Teil dieser ungeheuerlichen Summe musste jedoch tatsächlich von einer Steuerhinterziehung ungeahnten Ausmaßes ausgegangen werden.
Die Sichtung und Verarbeitung des Pipeline-Kontos wäre ohne eine moderne, leistungsfähige Computeranlage nicht möglich gewesen. Nach zähem Ringen auf den behördlichen Hierarchie-Ebenen bekam die Steuerfahndung tatsächlich die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt. Ein Server mit zehn Eingabe-PCs im Wert von rund 100 000 Mark. »Verfahrenskosten« nennt man Ausgaben dieser Art. Die neue EDV verfügte für die damalige Zeit über beeindruckende Leistungswerte: 64 Megabyte Arbeitsspeicher (RAM), eine Festplatte mit 6 Gigabyte Speicherkapazität, betrieben über Windows NT 3.51. Kaum ein Mensch würde sich heute bei einem Smartphone oder einem MP-3-Player mit 6 Gigabyte Speicher begnügen – in den 90er-Jahren glaubten sich deutsche Steuerfahnder mit Rechnerleistungen dieser Größenordnung auf Augenhöhe mit der amerikanischen Weltraumbehörde NASA.
Im Zuge der Auswertung des in der Bank beschlagnahmten Materials traten erstaunliche Kapitalflüsse zutage: Für den von uns untersuchten Zeitraum konnten 1,5 Millionen Buchungen auf dem Pipeline-Konto ermittelt werden. Eintausend Mikrofilme wurden auf 102 CD-Roms übertragen. Dann wurden aus etwa drei Millionen Wertpapierbelegen die Belege für Transfers in die Schweiz und nach Luxemburg für weitere Ermittlungen ausgesondert. Alle Daten wurden in das Computersystem eingegeben und miteinander verknüpft:
die Geldtransfers
die Wertpapiertransfers
die Kapitalanleger der »Erpresserliste«
die bundesweit eingegangenen und uns gemeldeten Selbstanzeigen
Ab Mitte 1998 erfolgte die bundesweite Weitergabe dieser Daten an unsere Kollegen – sowohl in Papierform als auch elektronisch. Dabei war ein Musterordner, der an alle Steuerfahndungsstellen in der Bundesrepublik verschickt wurde. Darin waren sämtliche Ermittlungsergebnisse über Geld- und Wertpapiertransfers für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich abgelegt sowie eine Vielzahl von Musterbelegen zu Pipeline-Konten und Kapitalbewegungen in die von uns untersuchten Länder Schweiz, Luxemburg und Gibraltar. Mit diesem Material konnte jede Steuerfahndung im Bundesgebiet ohne weitere Schulung die Fälle aus ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich bearbeiten.
Da die Zahl der Beschuldigten aus den Commerzbank-Ermittlungen derartige Ausmaße annahm, waren zahlreiche Finanzämter von ihrer Personalstärke betrachtet gar nicht mehr in der Lage, jeden einzelnen Steuersünder der üblichen Vorgehensweise zu unterwerfen. In den einfacheren Fällen beschränkte man sich aus diesem Grund darauf, die beschuldigten Bankkunden anzuschreiben – mit dem Absender Steuerfahndung – und die betreffenden Kandidaten davon zu unterrichten, dass man von den Geldern in Luxemburg, Gibraltar oder der
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