Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)
und Beschlagnahmen sind.
Es trifft zu, dass auch die Vorstandsbüros durchsucht und nicht relevante Unterlagen mitgenommen worden sind. Es ist jedoch frei erfunden, also unwahr, dass allein aus meinem Büro kistenweise Material abtransportiert worden sei. Die Wahrheit ist: drei Schriftstücke mit ohnehin bekanntem Inhalt.
Ich appelliere an Sie, mit Selbstbewusstsein auf die Angriffe zu antworten. Die Aufbruchstimmung, unser Zusammengehörigkeitsgefühl, wie es am 10. Juni letzten Jahres im Frankfurter Waldstadion sichtbar geworden ist, wird uns auch durch diese Anfeindungen führen und uns letztlich noch stärker machen. Wir haben allen Grund, selbstbewusst nach vorne zu schauen.
Mit freundlichen Grüßen«
Nun, man konnte dem Konzern diesen Brief nicht einmal übel nehmen. Nach deutschem Recht gilt die Unschuldsvermutung, und bis die Staatsanwaltschaft dem Bankhaus nicht das Gegenteil beweisen konnte, galt die Commerzbank in Bezug auf die Beihilfe zur Steuerhinterziehung als unschuldig. Und somit durfte man durchaus in einem Schreiben an die Belegschaft seine Meinung über Recht, Staat und Politik auch etwas deutlicher vertreten.
Der Zufallsfund
Was die »lieben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen« indes nicht wussten: Mit demselben Datum, dem 5. März 1996, ging auch ein Schreiben der Commerzbank an das Frankfurter Finanzamt raus. Eine Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung! Dabei ging es nicht um die untersuchte Beihilfe in unzähligen Fällen, sondern um eine Hinterziehung der Bank selbst. Das Unternehmen hatte über Jahre hinweg die Verluste ausländischer Töchter – vornehmlich aus dem latein- und nordamerikanischen Raum – zu Lasten des Gewinns im Inland gerechnet. Der Fachbegriff hierfür lautet »Wertberichtigung« und bedeutet schlicht, dass die Bank sämtliche Forderungen, die in ausländischen Filialen geplatzt waren, der deutschen Bilanz zugeschrieben hatte. Am Ende verringerte sich über diesen Kunstgriff nicht nur der inländische Gewinn, sondern entsprechend auch die Steuerbelastung des Konzerns.
Der Betriebsprüfung waren diese Zahlenspiele im Laufe der Jahre nicht aufgefallen, und wir – die Steuerfahndung – hatten diesen »Zufallsfund« noch gar nicht entdeckt, da wir noch weit davon entfernt waren, die bei der Durchsuchung gesicherten Bankdokumente zu sichten und zu überprüfen. Es war ein Hauptgewinn, der den Steuerbehörden insgesamt 500 Millionen Mark einbringen sollte. Zufallsfunde gab es bei Durchsuchungen immer mal wieder. Man fahndete nach Schwarzgeldern und spürte nebenbei einen Hehler- oder Schmuggelring auf, den man direkt an die zuständigen Polizeibehörden weiterreichen konnte. In diesem Fall jedoch waren wir – ohne es zu wissen – in den Besitz von Unterlagen gelangt, die die Bilanzierungstricks einer deutschen Großbank dokumentieren. Unrichtige Steuererklärungen eines deutschen Großunternehmens über einen Zeitraum von zehn Jahren mit Nachzahlungen in Höhe von einer halben Milliarde Mark – und darin waren die Hinterziehungen der Bankkunden noch gar nicht eingerechnet –, und das Ganze gewissermaßen im Vorbeigehen. So etwas konnte auch einem erfahrenen Steuerfahnder den Atem verschlagen.
Nach der Durchsuchungsaktion wurde das Ermittlungsteam in der Spitze auf 13 Steuerfahnder und vier Eingabekräfte aufgestockt. Mitte März 1996 wurde auch noch ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen sechs Mitarbeiter der Bank im Zusammenhang mit der Selbstanzeige eingeleitet, und Monate später eine weitere Durchsuchung von der Staatsanwaltschaft angeordnet. Diese Aktion betraf die Abteilung »Zentraler Stab Bilanz und Steuern« des Geldhauses und wurde von rund 50 Fahndern durchgeführt. Angesichts der Tatsache, dass das Ganze kurz vor Weihnachten stattfand, durfte man davon ausgehen, dass einigen Mitarbeitern der Großbank eine wenig besinnliche Zeit bevorstand.
Aber das war im Grunde nur ein Nebenkriegsschauplatz. Unser Hauptaugenmerk richtete sich noch immer auf die große Zahl der Bankkunden, die ihr Vermögen auf der Flucht vor der Kapitalertragssteuer ins Ausland geschafft hatten. Durch die bundesweite Berichterstattung in allen Medien steigerte sich der Druck auf die bis dahin noch unentdeckten Steuersünder fast täglich. Die Unsicherheit wuchs in einem rasanten Ausmaß. Wer konnte vor den bevorstehenden Untersuchungen in der Folge des gefundenen Materials noch sicher sein? Und betrafen die Ermittlungen nur die Kunden der Commerzbank, oder musste
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