Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)
diesem Tag wurde auch deutlich, dass wir im Zweifel jede einzelne Filiale durchsuchen könnten, die in der Vergangenheit mit dem Pipeline-Konto gearbeitet hatte. Eine mediale Horrorvorstellung. Der Bankvorstand sicherte uns deshalb bereits am ersten Tag der Durchsuchung zu, dass die infrage kommenden Filialen nicht nur darauf verzichten würden, in unserer Abwesenheit die Reißwölfe anzuschalten, sondern auf unsere Anfragen hin auch sämtliche Kassenkontrollstreifen herbeischaffen würden, um die Geldflüsse auf dem Pipeline-Konto zu entschlüsseln.
An diese Absprachen hielten sich naturgemäß nicht alle. Noch am Abend der Durchsuchung zeigte der Sender RTL Bilder von einer Bankfiliale in Frankfurt-Höchst, wo nach Geschäftsschluss hinter verschlossenen Türen hektisch Akten vernichtet wurden. Die Aufnahmen waren einem dummen Zufall zu verdanken. Die Filmcrew hatte von der Staatsanwaltschaft erfahren, dass auch in der besagten Filiale durchsucht werden würde. Als das Team jedoch gegen Abend dort ankam, waren bereits alle Lichter erloschen. Enttäuscht beschlossen die RTL-Leute, auf der gegenüberliegenden Straßenseite noch einen Kaffee zu trinken, als in der Filiale plötzlich wieder Leben erwachte. Da es auf der Straße bereits dunkel war, konnte die TV-Crew ungestört die Machenschaften hinter den Scheiben filmen. Seltsamerweise verschwanden die ungeschnittenen Bänder bei dem Sender wieder, bevor wir sie hätten auswerten können – die Filiale bekam jedoch einige Tage später einen ganz speziellen Durchsuchungstermin.
Uns war natürlich klar, dass alles, was wir nicht im ersten Rollgriff sicherstellen konnten, früher oder später verschwinden würde. Jeder Steuerfahnder hat im Laufe seiner Karriere die Erfahrung gemacht, dass der erste Zugriff der wichtigste ist. Selbst versiegelte Türen oder Tresore waren trotz aller Warnhinweise nicht vor einem späteren, heimlichen Zugriff sicher. Obwohl Siegelbruch mit bis zu einem Jahr Haftstrafe oder mit einer empfindlichen Geldbuße bestraft wurde, fanden wir in vielen Fällen beschädigte Papiersiegel vor. Das konnte sich dann in aller Regel niemand erklären. War es die übereifrige Putzfrau, die leider kein Deutsch sprach? Oder hatten die Kinder in dem Raum gespielt und das Siegel verletzt? Ein Nachweis war selten zu erbringen. Derart gestaltete sich auch die Aufklärungsarbeit in der Höchster Filiale. In dem RTL-Bericht konnte zweifelsfrei erkannt werden, dass Dokumente vernichtet wurden, aber nicht, um welche Papiere es sich handelte ...
Der Brief
Während hinter den Kulissen konstruktiv und einsichtig verhandelt wurde, zeichnete der Bankvorstand nach außen hin ein völlig anderes Bild. Nur wenige Tage nach der großen Durchsuchungsaktion wandte sich der damalige Vorstandsvorsitzende der Commerzbank, Martin Kohlhaussen, am 5. März 1996 in einem Brief an seine Mitarbeiter:
»... in einer spektakulären Aktion sind in der vorigen Woche ca. 250 Steuerfahnder in die Commerzbank ›einmarschiert‹. Spontane Reaktionen aus dem In- und Ausland zeigen, dass diese Maßnahmen als gezielte Aktion gegen unsere Bank, unsere Kunden und uns, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, empfunden werden. Wir alle werden so in ungerechtfertigter Weise kriminalisiert.
Wozu soll diese Aktion dienen? Unsere Bank hat sich entgegen allen Anschuldigungen nichts vorzuwerfen. Bis zur Stunde ist mir kein Fall bekannt, dass ein Mitarbeiter oder Vorstandsmitglied gegen bestehende Gesetze verstoßen hätte.
Offenbar handelt es sich um ein Ablenkungsmanöver, das die Banken – und zwar gezielt die privaten – angesichts einer unglücklichen Steuerpolitik zum Sündenbock machen soll. Ich bin über die Unverhältnismäßigkeit des Vorgehens in großer Sorge – Sorge um den Finanzplatz Deutschland und unsere gesamte Gesellschaft. Die Bundesregierung und die Hessische Landesregierung habe ich meine tiefen Bedenken schriftlich wissen lassen.
Wir müssen davon ausgehen, dass die Ermittlungen weitergehen. Wir geben Ihnen, unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unsere volle Unterstützung. Ich habe mein Rechtsvertrauen noch nicht verloren. Lassen Sie sich nicht einschüchtern, obwohl das Absicht zu sein scheint, sondern vertreten Sie als ›Bank an Ihrer Seite‹ offensiv die Belange unserer Kunden. Noch gilt in Deutschland der Kundenschutz (Bankgeheimnis). Es kann nicht Recht sein, dass unsere Kunden und wir ohne Vorliegen konkreter Verdachtsgründe Adressaten wahlloser Durchsuchungen
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