Inside WikiLeaks
Und hier habe ich noch kein Argument gehört, das mich nachhaltig überzeugt hätte, warum dem so sein sollte. Ich bin der festen Überzeugung, dass man der Bevölkerung die Wahrheit nicht nur zumuten kann, sondern dass man sie den Bürgern sogar zumuten muss. Genauso wenig, wie man die Bevölkerung darüber täuschen darf, dass deutsche Truppen irgendwo in der Welt Krieg führen, muss man die Bevölkerung davor schützen, von weltpolitischen Verstrickungen und Problemen zu erfahren. Das ist paternalistischer, elitärer Bullshit, und ich finde es daher sehr sinnvoll, für ein Mehr an Transparenz und geteiltes Wissen zu kämpfen.
Dennoch gehen mit der Veröffentlichung der Cables auch ein paar Probleme einher. Eines betrifft die exklusiv beteiligten Medienpartner. Ich schließe mich zwar der Meinung des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler in keiner Weise an, der im Spiegel gegen die Veröffentlichung der Cables plädiert hat. Aber er trifft in seiner Kritik einen wichtigen Punkt: Wer kritisiert, dass die Geheimnisse schon immer in den Händen bestimmter Mächte lagen, der muss sich jetzt die Frage stellen, ob sie durch die aktuelle Veröffentlichungsstrategie wirklich schon in die Verfügungsgewalt der Allgemeinheit übergegangen sind. Oder ob nicht vielmehr einfach nur die Hüter der Geheimnisse gewechselt haben. Geheimnisse, auf die zuvor das amerikanische Außenministerium und das Militär den Daumen hielten, liegen jetzt in den Händen von fünf großen Medienunternehmen und Julian Assange. Sie haben jetzt darüber zu befinden, was öffentliche Aufmerksamkeit verdient und was nicht. Die aktuelle Veröffentlichungsstrategie hat sich von den ehemaligen Grundideen von WikiLeaks weit entfernt. Zu weit, wie ich finde.
Zumal seit einigen Wochen offensichtlich Leute mit dem Auftrag durch die Welt reisen, sich darum zu kümmern, die bislang noch unter Verschluss gehaltenen Depeschen bei anderen Medien anzubieten. Darunter ist Johannes Wahlström aus Schweden. Wahlström ist der Sohn von Israel Shamir, einem bekannten Antisemiten und Holocaust-Leugner russisch-israelischer Herkunft. Kristinn hat Wahlström und Shamir bereits öffentlich als »zugehörig zu WL « bezeichnet. Ich denke, Julian weiß, welche Leute er sich da an Bord geholt hat. Jedenfalls besteht der Kontakt zu Shamir bereits seit Jahren.
Als Julian das erste Mal von Shamirs politischem Background erfuhr, hat er überlegt, ihn einfach unter einem Pseudonym bei WL einzubinden. Texte von Shamir beschrieb er mir gegenüber einmal als »eigentlich ganz clever«. Als Antisemit ist mir Julian allerdings noch nie aufgefallen, höchstens als Israel-kritisch, was sich aber einzig auf die politische Führung des Landes bezog. Ich habe keine Ahnung, warum er heute einen offenkundigen Antisemiten in seinem Umfeld duldet.
Es scheint, als hätte Wahlström die Cables an verschiedene Medien in Skandinavien weitergegeben, während sein Vater den russischen Markt übernommen hat. Und obwohl die fünf Medienpartner stets betonten, es sei niemals Geld geflossen, hat zumindest die norwegische Zeitung Aftenposten nun öffentlich bekannt, für ihre Einblicke in die Cables Geld bezahlt zu haben. Alle anderen Zeitungen, auch die russischen, verweigern der Presse konkrete Auskünfte über ihre Deals.
Das Geschäftemachen ist unschön. Weitaus problematischer ist das Szenario, jemand könnte die Einblicke zu einem anderen Zweck nutzen als zu dem der Publikation.
Auch bedenklich fände ich die Vorstellung, dass ein Interessent die Cables einzig angucken möchte, um sie im Zweifel lieber nicht zu publizieren. Es wären schließlich nicht die ersten Dokumente, die im Giftschrank verschwunden sind, weil jemand das so wollte.
OpenLeaks
Die Domain für das neue Projekt wurde am 17. September 2010 registriert, also zwei Tage nach unserem Ausstieg. Die Frage, wie eine künftige Whistleblower-Plattform aussehen sollte, was sie können und leisten müsste, hat uns allerdings schon viel länger beschäftigt. Nicht zuletzt, als ich mit einer Unterstützerin an dem Konzept für die Knight Foundation arbeitete.
Wir hatten Julian regelmäßig darüber informiert, welche Ideen zur technischen und inhaltlichen Weiterentwicklung wir diskutierten. Er fand das alles nicht so arg spannend. Julian hat manchmal von seinen eigenen Ideen gesprochen, wie es mit WL weitergehen könnte. Am liebsten hätte er einen Leak nach dem anderen durchgezogen, so aggressiv und konfliktreich wie möglich. An
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