Inside WikiLeaks
geschützt.« Zu den Submissions heißt es neuerdings: »WikiLeaks akzeptiert eine breite Palette von Materialien, aber wir fordern nichts gezielt an.« Und auch das Wort »klassifiziert« verschwand aus der Beschreibung der erwünschten Dokumente.
Wenn ich Julian heute in den Nachrichten oder auf aktuellen Pressefotos sehe, sieht er viel älter aus. Dieses kindlich-schelmische Grinsen, das er manchmal hatte, ist aus seinem Gesicht verschwunden. Er sieht glatter aus, vielleicht sogar besser, aber ein bisschen wie ein Firmenboss. Mit Rucksack und alten Jeans war er mir sympathischer.
In der Zwischenzeit hatte mich Stern TV eingeladen, und so durfte ich dem Medienzirkus mal wieder ein bisschen von der anderen Seite aus zugucken.
Vor der Sendung wartet man als Gast in einem kleinen Zimmerchen auf das Startsignal. Neben mir war als Experte der Schweizer Thomas Borer eingeladen. Bekannt ist der Ex-Botschafter eigentlich vor allem, weil 2002 die Boulevardpresse mit unwahren Verdächtigungen über ihn herzog, woraufhin er mit viel öffentlichem Wirbel von seinem Botschafter-Posten in Berlin abberufen wurde.
Borer kam aus seiner Kabine zu mir herüber und begrüßte mich mit den Worten »Ich schätze Menschen mit Zivilcourage sehr.« Doch der Satz ging noch weiter: »Auch, weil man sie mir nachsagt.« Er machte einen betont lockeren, staatsmännischen Eindruck dabei. Brust ein bisschen vorgereckt, die Stimme so sonor wie möglich.
Zur Vorbesprechung der Sendung traf man sich dann im Büro von Günther Jauch. Borer und ich nahmen in unseren Sesseln Platz, und ich hatte mich innerlich auf ein paar neugierige Fragen von Deutschlands Promi-Journalisten eingestellt. Ich bildete mir ein, im Vergleich zu Jauchs sonstigen Gästen ein wenig unkonventionell zu sein, und dachte, er würde mich nun gerne ausfragen. Die Sendungsplanung war jedoch in zwei, drei Sätzen und wenigen Fingerzeigen abgehandelt: »Ich frage erst Sie, dann Sie, und wir entwickeln das Gespräch dann langsam …«, erklärte Jauch. Danach begann zwischen Borer und Jauch das wirklich heiße Thema. Es ging um Villen und die unterschiedlichen Preise am Zürichsee und am Schwielowsee, der Potsdamer Villengegend.
Ich langweilte mich. Da draußen hatte gerade eine wirklich bedeutsame Enthüllung stattgefunden, und hier sprach man über den Wert von Immobilien an Großstadtgewässern.
Die Medien wollten nun alle sehr gerne von mir Kritik hören. Ich war vorsichtig. Je allgemeiner und neutraler meine Antworten wurden, desto suggestiver wurden ihre Fragen. Ich habe versucht, mich nicht verlocken zu lassen.
Was der Debatte meiner Meinung nach fehlte, war eine vernünftige Trennung der unterschiedlichen Kritikpunkte an WL . Das war zu kompliziert, um es mit ein paar knackigen Zitaten abzuhandeln.
Natürlich verdient Julian grundsätzlich Unterstützung. Es ist ein Skandal, dass amerikanische Politiker und Journalisten vor laufenden Kameras zu Julians Ermordung aufrufen. Vor allem muss verhindert werden, dass er an die USA ausgeliefert wird. Das wäre ein schlimmer Präzedenzfall und darf auf gar keinen Fall passieren. Aber wie man sich dagegen aussprechen konnte, dass er in Schweden seine Aussagen macht und gegebenenfalls vor ein ordentliches Gericht käme, das müsste mir doch einmal jemand erklären.
Diesem Verfahren, das mit WikiLeaks rein gar nichts zu tun hat, sondern einzig Julians private Erfahrungen mit zwei Frauen betrifft, kann und darf er sich nicht entziehen. Das wäre ein ganz klarer Fall von Machtmissbrauch. Ein Missbrauch, wie WL ihn in jedem anderen Fall zu verhindern versucht hätte.
In einer australischen Dokumentation ist Julian nach seinem Auftritt in der Talkshow von Larry King zu sehen. Er lässt den Blick über sein Konterfei auf den Titelbildern der internationalen Presse schweifen. Und dann sagt er halb versunken: »Now I am untouchable in this country.«
Der Journalist stockt: »Untouchable?«
Und Julian wiederholt: »Untouchable.«
Der Journalist sagt: »Thats a bit of hubris …?« 31
Julian scheint sich kurz über die Frage zu ärgern, scheint dann aber sehr schnell zu merken, dass er gar nicht entspannt dabei rüberkommt, und geht sofort in einen Witz über: »Well for a couple of days.« 32
Nein, Julian. Niemand ist unantastbar.
Und wie irgendjemand da draußen diese Vorstellung auch nur eine Sekunde lang unterstützen kann, das will mir nicht in den Kopf.
Ich wünsche allen Beteiligten, dass die Ermittlungen in Schweden
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