Inside WikiLeaks
inhaltlichen Diskussionen oder der technischen Weiterentwicklung der Plattform schien er kein Interesse zu haben. Er ist vielleicht auch einfach kein Mensch, der langfristig in die Zukunft plant.
Das eigentliche Problem bei WL war ja, dass das Projekt zu viele Ansprüche gleichzeitig zu erfüllen hatte. WikiLeaks allein bildet den gesamten Prozess eines digitalen Geheimnisverrats ab: Die Quellen laden hier ihre Dokumente hoch, das WL -Team bereinigt sie von Metadaten, verifiziert die Einsendungen und beschreibt die Zusammenhänge in Zusatztexten. Am Ende wird alles auf der Website veröffentlicht.
All diesen Aufgaben gerecht zu werden, war ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr möglich. Wir wurden einfach überschüttet mit Einsendungen. Es hätte Hunderter intensiv eingebundener Freiwilliger bedurft, um das zu schaffen. So aber mussten wir ständig Entscheidungen treffen: Welche Leaks sollten das Tageslicht erblicken? Welche Dokumente sollten mit vielen Tausenden anderen unveröffentlicht auf den Servern liegen bleiben? Wir waren hoffnungslos überfordert mit diesen Entscheidungen. Und vermutlich enttäuschten wir die Einsender, die ein hohes Risiko eingegangen waren und bis heute darauf warten, dass ihr mutiger Geheimnisverrat belohnt wird und dazu beiträgt, unsere Gesellschaft zu einer besseren zu machen.
Jede Auswahl stellt eine Zensur dar, und Zensur ist ein politischer Eingriff. Im Grunde beginnt das bereits, indem sich die Beteiligten über Themen verständigen und die öffentliche Aufmerksamkeit auf bestimmte Probleme lenken. Und dass WL Aufmerksamkeit zu erzeugen vermochte, das wird heute wohl niemand mehr bestreiten. Da bei WikiLeaks zu viele Fäden in einer Hand zusammenliefen – in der Hand von Julian Assange –, hatten wir uns zu einem Player von weltpolitischer Bedeutung entwickelt. Von Neutralität konnte keine Rede mehr sein. Ihr hatten wir uns einmal verpflichtet. Sie war eines der wichtigsten Prinzipien von WL .
Irgendwann hatten wir uns Partner in den Medien suchen müssen, das war sicherlich ein notwendiger Schritt. Aber auch die Entscheidung darüber, mit welchen Medien wir kooperierten, wollte Julian allein treffen. Später hat er offensichtlich sogar versucht, einzelne Medien auszusperren, wenn ihm die Berichterstattung nicht passte. Damit zwang er die Journalisten indirekt, freundlich über WikiLeaks zu schreiben. Die Konflikte mit den Redaktionen haben viel verbrannte Erde hinterlassen. Dieser Ansatz hat nicht funktioniert.
Mir stellte sich zudem schon länger die Frage, inwiefern eine einzelne Plattform den Bedürfnissen unser unterschiedlichen Quellen überhaupt gerecht werden konnte. Bei WL gingen ja Dokumente aus aller Welt und zu unterschiedlichsten Themen ein – von der Korruption im Rathaus einer deutschen Kleinstadt über die Befreiungsbewegung in Osttimor bis zur amerikanischen Außenpolitik. Lag die Lösung wirklich in einer einzigen Plattform für alle diese Inhalte? Wir waren ein Gemischtwarenladen oder sogar noch schlimmer: ein riesiger Supermarkt für Geheimpapiere geworden. Dabei hatten wir viel eher die Expertise und Ressourcen für ein kleines, feines IT -Fachgeschäft.
Der viel klügere Ansatz war doch, sich auf seine Stärken zu besinnen. Unser neuer Ansatz ist daher, bloß die technische Infrastruktur für den Whistleblower bereitzustellen. So würden wir auch die Gefahr reduzieren, dass ein Einzelner innerhalb des Systems zu viel Macht bekäme.
Mit OpenLeaks schlagen wir also einen neuen Weg ein. Wir verteilen die Verantwortung einfach auf viele Schultern – und zwar auf die Schultern derjenigen, die dazu besonders gut geeignet sind. Indem das Empfangen und Veröffentlichen der Dokumente voneinander getrennt werden, löst man nicht nur das Problem, dass zu viele Entscheidungen an einer zentralen Stelle zusammenlaufen. Sondern so lässt sich auch verhindern, dass einer der Verantwortlichen selbst in Versuchung gerät, politischen Einfluss auszuüben.
Die Information und die Entscheidung darüber, was damit geschehen soll, liegt nun in den Händen derer, die traditionell die meiste Erfahrungen damit haben. Da mögen einem als erstes vielleicht die Medien einfallen. Aber auch Nicht-Regierungs-Organisationen ( NGOs ), Gewerkschaften oder Journalistenschulen sind bestens dazu geeignet, unsere Partner zu werden. Denn sie alle sind in der Lage, Öffentlichkeit herzustellen und Vorgänge transparent zu machen. Sie alle haben die Fähigkeiten, geheime Unterlagen
Weitere Kostenlose Bücher