Inside WikiLeaks
einen fairen Verlauf nehmen. Ich wüsste aber auch gar nicht, warum das nicht passieren sollte. Schweden ist weder bekannt für Lynchjustiz, amerikanische Einflüsterungen noch intransparente Gerichtsverfahren. Wenn Julian sich richtig verhalten hat, wovon ich ausgehe, bis das Gegenteil bewiesen wird, hat er nichts zu befürchten.
Die australische Polizei hat ihre Ermittlungen gegen WL inzwischen eingestellt, weil sie keinen Verstoß gegen australisches Recht festgestellt hat. Anders sieht es aus mit den Versuchen der USA , Julian und andere Unterstützer von WL vor Gericht zu zerren, um sie an weiteren Veröffentlichungen zu hindern. Rechtsexperten streiten noch darüber, ob die Gesetze eine solche Anklage erlauben würden und ob das nicht beispielsweise auch bedeutete, dass man die Medien, die das Material veröffentlichten, ebenfalls anzeigen müsste. Dem steht zudem das Recht auf Redefreiheit und das First Amendment entgegen.
Gegen Julian könnte nun auch selbst im Namen des Espionage Act ermittelt werden, aus dem er uns beizeiten vortrug. Dafür müsste das Justizministerium allerdings nachweisen, dass Julian mit der Absicht gehandelt hätte, den USA zu schaden. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein solcher Nachweis aussehen könnte. Ich bin kein Jurist, aber ich halte eine solche Anklage für absurd und schädlich.
Nun versucht das State Department , Julian eine aktive Rolle bei der Informationsbeschaffung nachzuweisen. Das würde bedeuten, dass er als Komplize der tatsächlichen Quelle belangt werden könnte. Was den derzeit in Untersuchungshaft sitzenden Manning – sollte er denn die Militärdokumente beschafft haben – sicher entlasten würde. Hätte Julian hier eine aktive Rolle übernommen, hätte er ganz klar gegen unser Selbstverständnis gehandelt.
Natürlich sollte trotzdem grundsätzlich niemand dafür belangt werden, dass er die Öffentlichkeit mit Informationen versorgt hat, weder Whistleblower noch Enthüllungsplattformen wie WikiLeaks. Hier für klare Gesetze zu sorgen – siehe IMMI – ist das Anliegen, für das sich alle Journalisten, Verlage, Politiker und Demokraten einsetzen sollten.
Genauso kann andersherum kein Zweifel daran bestehen, dass ich die Veröffentlichung der Cables für wichtig und richtig halte. Und in diesem Zusammenhang würde ich mich für die Sicherheit der Beteiligten in jeder Sekunde in die Bresche werfen.
Wenn es nun bei einigen – eher den nicht beteiligten Medien – hieß, die Cables hätten keinen Informationsgehalt, dann frage ich mich, was die Leute überhaupt für wichtig erachten und ob das über Fußballergebnisse und Promiklatsch noch hinausgeht. Dass ein libanesischer Verteidigungsminister hofft, dass Israel sein Land bombardiere, damit er etwas gegen die Hisbollah unternehmen kann – das soll nicht bemerkenswert sein? Es ist doch auch interessant, dass die Weltmacht USA die Vereinten Nationen nicht nur politisch und öffentlich immer wieder beschädigen, sondern auch systematisch auszuhorchen versucht. Und dass Außenministerin Hillary Clinton ihre Diplomaten bittet, Informationen über Topmitarbeiter der Vereinten Nationen zusammenzustellen, bis hin zu deren E-Mail-Passwörtern, biometrischen Details und Kreditkarten-Nummern. Und dass ein ehemaliger afghanischer Vizepräsident mit einem Koffer mit 52 Millionen Dollar in bar in Dubai erwischt (man fragt sich, wie er so viel Geld in einen Koffer bekommen hat?) und wieder laufengelassen wird – das ist doch sehr wohl berichtenswert.
Mich persönlich interessiert es als Bürger auch, dass ein Helmut Metzner aus der FDP -Zentrale Informationen an die Amerikaner verraten hat – ich habe jedenfalls weiß Gott schon belanglosere Artikel in der Zeitung gelesen. Wer nun sagt, er hätte vorher gewusst, dass Leute lügen und betrügen und spitzeln und bestechen, der hat eine gute Ausrede, sich überhaupt nicht mehr mit Politik zu beschäftigen. Schaltet man die Abendnachrichten enttäuscht aus und sagt: »Ach, ich habe doch schon immer gewusst, dass überall Krieg herrscht und Menschen gemein zueinander sind«?
Noch viel mehr wundere ich mich über die ewig gestrigen Verteidiger der Intransparenz. Die nun aller Welt erzählen, wie wichtig es sei, dass geheim bliebe, was schon immer geheim war. Es gibt eine lange, unwürdige Tradition, nicht zuletzt auch in der deutschen Außenpolitik, sich Öffnungs- und Diskursbestrebungen zu widersetzen mit dem Verweis auf ein höheres, schützenswertes Gut.
Weitere Kostenlose Bücher