Inside WikiLeaks
nicht. Man konnte über unseren Lieblingsfeind USA sagen, was man wollte, aber hier in Moskau brannte es auch an jeder Ecke. Ich hätte in diesen Wochen auch gerne wieder mehr Zeit für WikiLeaks gehabt. Immerhin schaffte ich es, mich in Moskau mit Transparency International zu treffen und ein Interview im Auslandsstudio der ARD zu geben.
Zu diesem Zeitpunkt gab es eine erste Kündigungswelle bei uns am Standort, und der Betriebsrat schickte eine Mail herum mit dem Angebot an alle Mitarbeiter, sich diesbezüglich beraten zu lassen. Wenig später kam eine Mail von der Geschäftsführung: Man dürfe die Viertelstunde, die ein Mitarbeiter beim Betriebsrat zubrächte, nicht als reguläre Arbeitszeit anrechnen. Blockwartallüren und pädagogischer Bullshit dieser Art kamen ständig – sei es nun die Mahnung, nicht zu vergessen, dass der 24. Dezember ein halber Arbeitstag sei, oder der Hinweis, dass Kugelschreiber und Radiergummis Firmeneigentum seien.
Ich arbeitete 16, 18 Stunden am Tag, und dann wurde einem unterstellt, man wolle seine Firma um eine Viertelstunde bezahlte Arbeitszeit bescheißen. Also verfasste ich eine Antwortmail, die ich an alle deutschen Mitarbeiter des Konzerns verschickte. Ich gab als Absender die Adresse der Geschäftsführung an, mit der gesamten Chefriege in Kopie. In der Mail bat ich den Geschäftsführer, er solle doch mal bitte von seiner eigenen Arbeitsmoral nicht auf die von allen anderen schließen. Und dass es auch schön sei, wenn der Betriebsrat mal ein bisschen mehr Rückgrat zeige. Die Mail ließ ich über einen Netzwerk-Drucker abgehen. Ich kannte die IP -Adresse, weil es sich um den Drucker auf dem Flur meines Rüsselsheimer Büros handelte.
Es dauerte nicht lange, und ein Chatfenster auf meinem Rechner ging auf – eine Kollegin, die zum engeren Kreis der Geschäftsleitung gehörte. Man hätte da ein Problem, und ich kenne mich doch gut aus mit Sicherheit und so, ob ich ihnen helfen könne.
Ich tat erstaunt: »Na so was!«
Ich prüfte den Fall gewissenhaft und erinnerte daran, dass ich schon mehrfach auf das Sicherheitsproblem bei Netzwerkdruckern hingewiesen hatte.
»Kann man den Absender der Mail nicht ermitteln?«
»Leider nein«, bedauerte ich. »Ich habe hier auch sehr viel zu tun, sorry, J.«
Ich verabschiedete mich freundlich und widmete mich wieder meiner russischen Baustelle.
Einige meiner Kollegen daheim entwickelten bald einen regelrechten Hass auf denjenigen, der die Mail verschickt hatte. Sie fürchteten, dass sie als Verfasser der Mail verdächtigt werden könnten und jetzt erst recht ihren Job verlieren. Vor allem diejenigen, die sonst nie eine Gelegenheit ausließen, auf die Geschäftsleitung zu schimpfen, hatten plötzlich die Hosen voll.
Ich beobachtete amüsiert, dass die Geschäftsleitung sogar die Polizei einschaltete und wie stümperhaft diese vorging. Sie versiegelten den Raum mit großem Aufwand und nahmen Fingerabdrücke an allen Druck- und Kopiergeräten. Sie bauten auch die Speicher der Geräte aus und brachten sie in die Forensik. Natürlich kam nie etwas dabei heraus.
Anfang 2009 war klar, dass ich meinen Job kündigen würde. Normalerweise wäre ich niemals entlassen worden. Weil ich mich aber freiwillig meldete, jung und alleinstehend war, konnte die Firma mein Angebot nicht ausschlagen. Ich habe dann ein Jahresgehalt als Abfindung ausgehandelt und bin zum 31. Januar 2009 ausgeschieden. Als Erstes kaufte ich von dem Geld für WL sechs neue Laptops und ein paar Telefone.
Meine Eltern verstanden anfangs nicht, warum ich gekündigt hatte: Ein sicherer Job, die Rente – darauf zu verzichten, klang in ihren Ohren gefährlich. Grundsätzlich haben sie mich jedoch immer unterstützt. Vor allem meine Mutter hatte längst verstanden, dass ich etwas tun wollte, was ich auch gesellschaftlich für sinnvoll hielt, und ihr war klar, dass alle Versuche, mich umzustimmen, nur ins Gegenteil umschlagen konnten.
Ich ging damals davon aus, dass wir es innerhalb von einem Jahr schaffen würden, das Projekt so aufzustellen, dass wir uns auch ein kleines Gehalt zahlen könnten. Mir kam mein Schritt also gar nicht so abenteuerlich vor. Es fühlte sich alles gut und richtig an.
Der Kampf gegen Internetzensur
Im Jahr 2008 fingen wir an, die Filterlisten von unterschiedlichen Systemen zu veröffentlichen, die in der ganzen Welt zum Einsatz kommen, um den Zugang zu bestimmten Websites zu blockieren.
Die erste Liste kam aus Thailand. Der politische Missbrauch
Weitere Kostenlose Bücher