Inside WikiLeaks
war in diesem Fall offensichtlich: Das Regime nutzte die Filter zentral, um Kritik am Königshaus zu unterbinden. Auch Seiten mit pornographischem Inhalt wurden herausgefischt.
Bald kamen auch Filterlisten aus demokratischen Staaten bei uns an, aus Norwegen, Finnland, Dänemark, aus Italien und Australien. In diesen Ländern sollten sie vorgeblich dazu dienen, die Verbreitung von Kinderpornographie einzudämmen. Einige dieser Systeme sind nur für den freiwilligen Einsatz gedacht, das heißt, Eltern können die Filter etwa auf ihren eigenen Rechnern und auf denen ihrer Kinder installieren. Das ist sicherlich ein guter Ansatz. Zu einer bedenklichen Zensurmaßnahme wird das, wenn der Gesetzgeber versucht, diese Filter verpflichtend für alle Internetnutzer einzuführen.
Das Argument der Befürworter ist, man könne nur auf diese Weise wirkungsvoll gegen Kinderpornographie im Netz vorgehen. Das ist ein Scheinargument. Es wurde in der Folge auf vielfache Weise widerlegt.
So stellte sich anhand unserer Leaks heraus, dass selbst die beste Filterliste noch nicht einmal mit jeder dritten als gefährlich identifizierten Seite richtig lag. Einige Listen hatten sogar Fehlerquoten von bis zu 90 Prozent. Besonders schlecht war die finnische Liste: Nur ein paar Prozent der identifizierten Seiten waren tatsächlich kinderpornographischen Inhalts. Diese Informationen lösten eine breite politische Protestbewegung aus.
Die Systeme waren nicht nur schlecht, sie ließen sich auch leicht politisch missbrauchen, und zwar nicht nur in Diktaturen und Unrechtsstaaten wie China oder Thailand. In Finnland etwa traf die Zensur Matti Nikki, einen bekannten Blogger. Nachdem er die finnische Sperrliste veröffentlicht hatte, landete seine eigene IP -Adresse ebenfalls darauf.
In den australischen Listen fanden sich Seiten eines Zahnarztes, von Abtreibungsgegnern sowie Netzauftritte von Homosexuellen und religiösen Minderheiten.
Unser Leak zu der australischen Liste fiel in die Zeit des dortigen Wahlkampfes. In Australien ging es der Regierung genau wie in Deutschland darum, die Netzfilter für alle Nutzer verbindlich einzuführen. Die Regierung bestritt, dass es sich bei der geleakten Liste um das Dokument handeln könnte, das auch ihren Gesetzesplänen zugrunde lag. Ironischerweise bekamen wir bald eine neue Liste zugespielt, die der alten sehr ähnlich sah. Jedoch hatten die Verantwortlichen sie an den öffentlich besonders kritisierten Punkten nachgebessert.
Ende April 2009 hat in Deutschland die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen ihren ersten Entwurf für das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz vorgelegt. Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages meldete damals verfassungsrechtliche Bedenken an. Ich glaube, dass man den Entwurf einfach trotzdem durchgewinkt hätte, wenn es uns nicht gelungen wäre, das Thema in den öffentlichen Fokus zu bringen.
Aber wie so oft zu diesem Zeitpunkt war es nicht primär der Name WikiLeaks, der in die öffentliche Aufmerksamkeit vordrang. Es brauchte eine weitere Person, die das Thema aufnahm und zu ihrer Sache erklärte. In diesem Fall, und zu unserem großen Glück, war das Franziska Heine.
Die junge Berlinerin entdeckte das Thema in einem Blog und setzte kurzentschlossen eine Online-Petition auf, die zur erfolgreichsten Online-Petition der Bundesrepublik werden sollte. Dadurch wurde Franziska innerhalb weniger Tage prominent, zumindest in den Kreisen, die sich politisch und journalistisch mit der Zensurfrage auseinandersetzten. Wichtige Zeitungen und Fernsehsendungen wollten ein Interview mit ihr. Wenn ich mit ihr unterwegs war, klingelte ständig ihr Telefon, jede Mittagspause wurde von ihr für Pressetermine genutzt.
Kennengelernt habe ich Franziska per Mail. Nachdem sie die Petition in die Welt gesetzt hatte, habe ich sie angeschrieben und gefragt, ob wir uns nicht zusammentun wollten. Ihre Antwort klang begeistert. Am Ende schrieb sie: »Wir sollten uns mal treffen.«
Ein paar Tage später saß ich schon im Zug nach Berlin. Franziska ist ein sehr offener Mensch. Gleich bei unserem ersten Treffen sind wir gemeinsam stundenlang an der Spree entlanggeschlendert und haben geredet. Sie hat diesen sehr freundlichen, leicht schelmisch-verschlafenen Blick und es machte Spaß, mit ihr zu plaudern. Ich hätte mir höchstens gewünscht, nicht diese schwere Schultertasche dabeigehabt zu haben. Aus Sicherheitsgründen hatte ich mir angewöhnt, meine beiden Laptops und die Handys
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