Inside WikiLeaks
anderes: Ich hatte schon 2008 am letzten Tag mit den ausgefüllten Anträgen an meinem Schreibtisch gesessen und nicht gewusst, ob ich den Antrag selbst unterschreiben und meine Adresse inklusive des richtigen Namens angeben sollte. Wir hatten kein Büro, dessen Adresse ich hätte angeben können. Und Julian hatte sowieso keinen festen Wohnsitz.
Weil die Zeit drängte, dachte ich mir, vergiss die USA , ist doch egal, wenn da jetzt dein wahrer Name steht. Ich unterschrieb den Antrag und sandte ihn ab.
Ich träumte in den folgenden Tagen in der Tat von der halben Million Dollar für WL und was wir damit alles hätten anschaffen können. Vorm Einschlafen dachte ich darüber nach, wie wir uns die ausgefeilteste Sicherheitstechnik aufstellen könnten, alles nur vom Feinsten, ein halbes Rack in einem ordentlich gekühlten Rechenzentrum, mit redundantem Strom und Netz sowie einem Terminalserver für den Zugriff auf die anderen Server, wenn es mal ein Problem gäbe. Und es wären Server der letzten Generation, nicht der vorvorletzten.
Wenn ich schon einmal dabei war, träumte ich gleich weiter: Dass wir uns ein Büro mieten und Leute mit konkreten Aufgaben betrauen würden. Dass wir uns Gehälter zahlen könnten. Ich wollte am liebsten nie wieder in die Firma zurück, zu den Excel Sheets und Dienstagsmeetings und meinen heimlichen Telefonkonferenzen im Lagerraum des 8. Stockwerks.
Das Bewerbungsverfahren zog sich über Wochen hin. Die Knight Foundation forderte weitere Unterlagen und wollte uns dann tatsächlich zur letzten Runde nach Boston ans MIT laden. Die Foundation wollte uns persönlich kennenlernen und auch die Leute von unserem Board befragen.
Das Advisory Board war noch so eine phantastische Konstruktion, vor meiner Zeit eingerichtet. Von den acht Leuten, die wir als unseren Beirat bezeichneten, bekannte sich eine einzige Person öffentlich zu uns, und das war CJ Hinke, ein Netzaktivist aus Thailand. Journalisten trieben im Laufe der Zeit jedes Einzelne der vermeintlichen Board-Mitglieder auf. Die Chinesen stritten sofort ab, dazuzugehören, was Julian mit den Worten abtat: »Ist ja klar, dass die sich nicht öffentlich dazu bekennen dürfen.«
Ben Laurie hat mehrfach abgestritten, uns je beraten zu haben. Philip Adams sagte immerhin, dass er irgendwann zugestimmt hätte, aber aus gesundheitlichen Gründen nichts hätte beitragen können.
Die Foundation hätte es sicherlich nützlich gefunden, wenigstens die Kerntruppe von WikiLeaks ein einziges Mal sprechen zu dürfen. Aber es war unmöglich, einen Termin für eine gemeinsame Telefonkonferenz zu finden. Die Mails gingen ewig hin und her, die Foundation muss uns entweder für total arrogant oder extrem unorganisiert gehalten haben – was ja beides stimmte. Ich versicherte ihnen: Welchen Termin auch immer sie vorschlügen, ich wenigstens wäre auf jeden Fall für sie da. Ich wollte unseren Ansprechpartnern das Gefühl geben, dass wir uns kümmerten. Julian schrieb mir daraufhin eine böse Mail, dass ich nicht der Antragsteller sei: »You’re not the applicant.«
Später hat er den anderen gesagt, ich hätte versucht, mich in den Antrag hineinzudrängen. Mein Gott! Wir hätten unsere Energien besser darauf verwendet, gemeinsam eine überzeugende Präsentation vorzulegen. Wir sollten dann in der letzten Runde scheitern.
Mir war klar, dass wir uns eines Tages von WL ein Gehalt auszahlen wollten. Das Ziel sollte sein, dass keiner mehr anschaffen gehen müsste. Denn das war ja immer das Problem: Wir brauchten eigentlich viel mehr Leute. Und wir brauchten viel mehr Zeit. Beides war nicht vorhanden, weil wir fast alle neben WL noch Geld verdienen mussten.
In meinen Augen war es eine Art von Prostitution, nicht die Arbeit machen zu können, von der man wusste, dass sie sehr viel sinnvoller wäre. Wobei ich natürlich auch weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der nicht tun kann, was er am liebsten tun möchte.
Es gab nur eine Person, die für ihre Dienste bei WL damals Geld bekommen hat, das war der eine Techniker, der noch immer bei WL ist. Vielleicht ist er sogar deshalb bis heute geblieben, aus dem Gefühl heraus, WL dadurch verpflichtet zu sein. Einmal gaben wir auch einer Journalistin rund 600 Euro dafür, dass sie uns eine aufwendige Analyse zu den Banken-Leaks schrieb. Wir dachten damals, wir müssten jemanden gezielt darauf ansetzen, tiefergehende Recherchen anzustellen. 2009 waren 600 Euro noch viel Geld für uns.
Mir ging meine Arbeit jedenfalls
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