Inside WikiLeaks
passieren.
Julian hatte dann die Idee, dass er eine neue Rede halten wollte. Er mochte sie aber nicht mit mir abstimmen, obwohl wir unsere Vorträge immer gemeinsam hielten. Stattdessen fuhr er in ein Hotel. Er könne sich dort besser vorbereiten und wolle mit einer Bekannten die Rede noch einmal minutiös durchgehen, sagte er mir.
Auf der einen Seite war ich froh, dass er immerhin schon zwei Tage und nicht erst zwei Minuten vor Beginn des Vortrags angereist war, wie so oft. Ich hätte mich dennoch gerne mit ihm abgesprochen. Diese Harakiri-Spontan-Improvisationsnummern auf der Bühne zerrten an meinen Nerven. Heute gehe ich ganz oft unvorbereitet zu Terminen. Die Themen kenne ich mittlerweile ohnehin im Schlaf. Ich bin viel spontaner geworden. Danach sagen mir die Leute oft, wie gut sie mir zuhören konnten, weil ich so frei und frisch vorgetragen hätte. Das verdanke ich wohl Julian. Seit der Zeit unserer gemeinsamen Vorträge machte ich mir keine Sorgen, dass etwas schiefgehen könnte, dass der Beamer Feuer fangen oder die Bühne einstürzen könnte.
Manchmal kaperten wir auch einfach die Bühne. Wenn die Veranstalter für uns keinen eigenen Auftritt vorgesehen hatten, wir aber der Meinung waren, dass wir unbedingt ins Programm gehörten, sprangen wir einfach ungefragt aufs Podium. So zum Beispiel im Juni 2008, als Julian und ich auf dem Global Voices Summit in Budapest waren. Global Voices ist ein weltumspannendes Netzwerk von Bloggern, die Bürgerjournalismus und Blogs in alle Sprachen übersetzen, weiterverbreiten und gegen Zensur verteidigen. Wir versprachen uns von der Konferenz neue Kontakte, die uns dabei hätten unterstützen können, unsere Leaks weiter in die Welt zu tragen. Wir schufen uns dafür einfach unseren eigenen Programmpunkt, verteilten im Vorfeld Flyer und hüpften dann im Anschluss an einen offiziellen Vortrag auf die Bühne.
Nach der Konferenz sprach Julian ein Mitarbeiter des Open Society Institute ( OSI ) von George Soros an. Er fragte ihn, woher wir eigentlich das Geld für WL nahmen. Er deutete an, dass das OSI Projekte wie unseres gerne unterstützen würde. Julian zufolge hätte er nach unserer Wunschliste gefragt, und wir hätten dabei »nicht kleckern« sollen. Soweit ich weiß, wurde aber nie etwas daraus.
Wir haben auf der HAR drei Vorträge gehalten. Beim Thema Internetzensur wollten wir die neue internationale Bewegung ausrufen. Ich moderierte eine Podiumsdiskussion dazu. Mit mir auf der Bühne saßen Julian und Rop Gonggrijp, ein niederländischer Netzaktivist, der uns später auch bei der Veröffentlichung von Collateral Murder unterstützte, außerdem Franziska und padeluun vom Bielefelder Datenschutzverein Foebud sowie eine Ex- MI6 - Whistleblowerin aus Großbritannien.
Alle waren sich in der Theorie einig: Überall auf der Welt bastelte die Politik an Zensur-Gesetzen, überall auf der Welt versuchten Menschen, dagegen vorzugehen. Es wäre sinnvoll gewesen, sich international aufzustellen und den Widerstand zentral zu steuern. Nach der Veranstaltung kamen viele Zuhörer zu uns und wollten sich engagieren. Wir riefen eine Mailingliste ins Leben, sie sollte den Grundstein legen für eine globale Bewegung.
Und dabei blieb es dann. Was der Bewegung womöglich gefehlt hat, war ein Leitwolf, eine Persönlichkeit, die sich das Ganze auf die Fahnen schreiben und die Leute mitreißen würde. Dass es immer erst eines Idealisten bedurfte, der sich an die Spitze setzte – wer hätte das besser wissen können als ich.
Neben der Gründung einer globalen Anti-Zensur-Bewegung hatte ich mir auf der HAR noch einen weiteren, den vielleicht härtesten Job meines Lebens ausgesucht. Ich hatte T-Shirts mit dem WL -Logo bedrucken lassen. Ich bestellte weiße T-Shirts, weil ich dachte, dass unser Logo darauf am besten zur Geltung käme und weil wir ein paar Cent pro Exemplar sparten. Das war idiotisch. Wer kaufte schon weiße T-Shirts. Vor allem in einer Szene, in der das schwarze T-Shirt fast so etwas wie ein Dresscode ist. Ich selbst hätte nie im Leben ein weißes Shirt angezogen.
Ich hatte 250 Stück davon drucken lassen, das waren fast vier Umzugskisten voll, ausgepackt und gestapelt erreichten sie eine Höhe von drei Metern. Diesen Monsterstapel versuchte ich nun abzutragen. Heute würden sie als Fan-Artikel bestimmt für das Zehnfache weggehen, aber damals wollte sie niemand haben.
Ich musste die Leute regelrecht festhalten, wenn sie an unserem Stand vorbeikamen, um ihnen fünf
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