Inside WikiLeaks
Euro für ein T-Shirt aus dem Portemonnaie zu quatschen. Meine Mitstreiter stellten sich leider auch nicht besser an. Hätten wir auf Einzelhandel umsteigen müssen, wir wären verhungert. Meine Freundin war viel zu ehrlich, um jemandem so ein hässliches T-Shirt mit gutem Gewissen aufs Auge zu drücken. Und Julian begann mit den Kaufinteressenten lieber tiefschürfende Gespräche über den Zustand der Welt. So stand er dann da und quatschte und quatschte oder brach einen Streit vom Zaun. An die T-Shirts dachte niemand mehr.
Ich entging nur knapp einem Verlustgeschäft. Das WL -Merchandising würde uns ganz sicher nicht aus der Finanznot retten.
Wenig später bekamen wir dann noch einen Preis verliehen, einen Kunstpreis. Stifter war die Ars Electronica, die jedes Jahr in Linz stattfindet. Aus meiner Sicht war das der komplette Schwachsinn. Es fing auch schon sehr lustig an.
Eigentlich muss man sich um eine Auszeichnung bei diesem Medienfestival bewerben. Das tun jedes Jahr wohl mehrere Tausend Künstler. Wir hatten da ganz sicher noch nie drüber nachgedacht.
Wir bekamen Post von den Organisatoren. Zunächst mailten sie nur ein paar Infos zu dem Preis. Wir löschten die Nachrichten. Kunst interessierte uns nicht die Bohne. Was wollten diese Leute? Die Mails jedoch häuften sich. Wir wurden schließlich gefragt, ob wir uns nicht auch bewerben wollten. Wollten die uns etwa einen Preis verleihen? Das Procedere kam uns doch etwas seltsam vor. Auf der anderen Seite trauten wir dieser intellektuellen Hightech-Kunstszene alles zu. Wir hatten uns die Beschreibungen zu den prämierten Arbeiten des vergangenen Jahres durchgelesen. Und wunderten uns noch mehr. Das hörte sich eher nach Helge-Schneider-Zitaten oder Titanic -Artikeln an, war aber offensichtlich ernst gemeint. Gesellschaftlich relevant war wenig davon. Wie passte WL da hinein?
Doch weil die Kuratoren der Ars Electronica uns so beharrlich umworben hatten, schickte ich ein paar Blätter mit allgemeinen Informationen über WL nach Linz. Und – Überraschung! – wir bekamen eine Einladung nach Österreich zur Preisverleihung am 4. September 2009.
Weil sie uns nur ein Hotelzimmer bezahlten, mussten Julian und ich in einem Doppelbett schlafen. Verglichen mit den Kaschemmen, in denen wir sonst so nächtigten, kam uns das »Hotel Wolfinger« vor wie das »Ritz«. Österreichisch-charmant und schick dazu. Ich wollte spontan meine Schuhe ausziehen, sobald ich das edle Holzparkett des Zimmers betrat. Oder, noch schlimmer, verspürte sogar den Drang, ein bisschen aufzuräumen, bevor ich es wieder verließ. Immerhin sah es überall, wo Julian und ich uns länger als fünf Minuten aufhielten, bald aus, als wäre ein Koffer voller Klamotten explodiert und jemand hätte dann noch Kabel und Telefone dazwischen dekoriert. Aber dann tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass die anderen Künstler vermutlich auch nicht viel ordentlicher waren als wir.
Wir waren in der Hoffnung angereist, ein paar reiche Kunstfuzzis zu treffen, mit denen wir netzwerken wollten, um bei ihnen Geld einzutreiben. Wir lebten ziemlich sparsam. Den Akku meines Laptops hatte ich mit dickem Tape umwickelt, weil er sich bereits aus der Halterung löste. Aus Julian hätten schon ein paar neue Schuhe einen neuen Menschen gemacht. Dennoch hatten wir unser Bestes gegeben, uns für die Kunstszene etwas aufzupolieren. Ich hatte ordentliche schwarze Lederschuhe an. Julian trug einen taillierten Mantel aus schwarzem Tuch, der höchstens eine Spur zu klein und vermutlich für Frauen geschnitten war. Er sah darin zwar aus wie Phantomias kurz vorm Abheben, aber irgendwie auch recht mondän.
Julian verlor ich dann schon vor der eigentlichen Preisverleihung, die im Brucknerhaus stattfand, aus den Augen. Vielleicht war er draußen am Fluss spazieren oder ins Hotel zurückgekehrt, weil ihm die Szene nicht gefiel.
Er verpasste nichts. In meinen Augen wurden komplett sinnlose Projekte ausgezeichnet, und am Ende nannte uns der Moderator als Zweitplatzierte schon nicht mal mehr mit Namen. Zwar war der riesige Saal, in dem die Gala stattfand, voller hoher Herren in Anzügen und Damen in Abendkleidern, und in einer der vorderen Stuhlreihen saßen auch an die zwanzig Sponsoren aufgereiht, dazwischen die Künstler in ihren zwanghaft expressiven Garderoben. Nur war der ganze Auftritt für uns nutzlos, weil niemand erfahren sollte, wer wir eigentlich waren. Also gab es keine dicken Scheine, zugesteckt von den reichen
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