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Inside WikiLeaks

Titel: Inside WikiLeaks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Domscheit-Berg
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13. August losgehen sollte, in einem großen, weißen Mercedes-Sprinter nach Vierhouten. Wir hatten ein riesiges Zeltlager im Gepäck. Mein größter Stolz war die hellblaue Flagge mit dem WL -Logo, die ich bei einem Textilservice im Internet bestellt hatte: An einem sechs Meter hohen Mast wehte eine fast zwei Meter lange Fahne. Wir hatten außerdem zwei Partyzelte, meine mobile Solaranlage, einen Haufen Lichter und eine Discokugel dabei. Dazu kamen ein Kühlschrank, Hängematten, ein aufblasbarer Sessel und eine Matratze.
    Das Camp wurde auf einem riesigen Gelände mit Wiesen und Wäldchen aufgebaut, das zu normalen Zeiten ein Campingplatz für Familienurlauber ist. Wir halfen Stromverteiler zu errichten, das Datennetz und Vortragszelte aufzubauen, kilometerweise Kabel und Glasfaser zu verlegen und die Leitungen oben durch die Bäume zu spannen, damit keiner darüber stolperte. Für die fünf Konferenztage wurde eine komplette Zeltstadt aufgebaut, mit allem, was man brauchte – inklusive einer 10-Gigabit-Anbindung ans Internet, die große Teile des europäischen Netztraffic für die folgenden Tage Richtung Vierhouten verlagern sollte.
    Die Vorbereitungen machen mir bei solchen Camps fast am meisten Spaß. Ich fand es großartig, mich mal wieder an der frischen Luft zu bewegen und mit echten Menschen zu tun zu haben.
    Das Wetter war der Hammer. Nur in einer Nacht gab es ein kleines Unwetter, und das Regenwasser lief in die Batterien, an der die Solaranlage hing. Es gab einen Kurzschluss, und der Aufbau wäre um ein Haar abgebrannt. Das haben wir allerdings erst am nächsten Morgen bemerkt.
    Julian kam zwei Tage vor dem Vortrag an. Er baute sein Zelt in der hintersten Ecke auf, dann stromerte er über das Gelände. Uns zu helfen lag ihm nicht so.
    Auf der HAR lief alle Welt mit Dect -Telefonen herum, die über ein eigenes Netz miteinander verbunden waren. So konnte jeder mit jedem auf dem Gelände Kontakt aufnehmen oder Freunde anklingeln, wenn man sich im Gedrängel mal wieder verloren hatte. Und natürlich ließ sich damit auch in alle Welt telefonieren.
    Für die DECT -Telefone konnte man sich einen vierstelligen Code reservieren. Ich suchte mir den Code » LEAK « aus. Für Julian hatte ich »6639«, also » MNDX « für »Mendax« besorgt, seinen alten Hacker-Namen. Ich glaube, er war wirklich happy damit. Ich erinnerte mich an einen Vortrag, den wir 2008 in Berlin gehalten haben. Jemand aus dem Publikum hatte Julian auf der Bühne erkannt und laut »Hey Mendax!« gerufen. Es war an Julians Gesicht abzulesen, wie sehr ihn das gefreut hat. Auf dem Congress im Dezember 2007, als wir uns das erste Mal in Berlin sahen, war er wahrscheinlich mit Abstand der größte Hacker von allen dort, und so stolzierte er auch herum. Ich glaube, er war ein bisschen enttäuscht, dass ihn kaum jemand erkannte.
    Ich hörte sein Telefon auf der HAR auch kein einziges Mal klingeln. Aber er lud es auch nie auf und kümmerte sich nicht darum.
    Neben den vielen Veranstaltungen wurde auf der HAR immer irgendwo gefeiert. Bei uns im Zelt gab es eine Discokugel und Musik, und abends wurde zusammen gekocht. An die zwanzig Leute saßen hier zusammen, allein schon deshalb, weil wir so gut ausgestattet waren. Meine Freundin entspannte sich auf der HAR , sie war froh, mich mal mehrere Tage in ihrer Nähe zu haben. Sie schaukelte in der Hängematte oder lackierte ihre Fußnägel in Regenbogenfarben. Außerdem sammelte sie Geld für die Einkäufe ein und half beim Kochen. Alle mochten sie.
    Noch glücklicher habe ich unseren Techniker mit diesem Ausflug gemacht. Er fühlte sich in der freien Natur sehr wohl, schloss neue Freundschaften und ließ Gott einen guten Mann sein. Ich habe damals gedacht, dass wir alle viel öfter etwas gemeinsam unternehmen sollten. Und wie gut es war, den Blick mal auf ein paar Bäume und nicht immer nur auf Bildschirme zu richten.
    Marvin Minsky, ein Experte für Künstliche Intelligenz, der als einer der Ersten die These vertrat, dass wir die Computer eines Tages per Kabel direkt mit unseren Gehirnen verbinden werden, wurde von einem Journalisten einmal gefragt, wann wir uns denn endgültig in die virtuelle Welt verabschieden werden. Er soll sinngemäß gesagt haben: Solange wir nach zwei Stunden mit den tollsten 3-D-Darstellungen am Computer immer noch nach draußen gucken, einen Baum sehen und uns erstaunt fragen, was für ein detailreiches, wunderbares Ding das doch ist – so lange würde das ganz sicher nicht

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