Inside WikiLeaks
Rampenlicht zu treten, sie waren eher zurückhaltende Charaktere. Und zweitens war es fast noch wichtiger, die beiden zu schützen als Julian und mich. Nach und nach wanderte die gesamte Verantwortung für die Technik in ihre Hände. Um WL nachhaltig zu schaden, hätten Gegner einen der beiden aufgreifen müssen und nicht einen von uns.
Ihr auffälligstes Merkmal war, dass sie so unauffällig waren. Sie so gut zu beschreiben, dass sie in einer Gruppe von zwanzig Leuten einwandfrei zu identifizieren gewesen wären – keine leichte Aufgabe.
Techie Nummer eins kam schon 2008 zu uns. Weil er der Erste war, nannten wir ihn einfach den »Techniker«. Wann genau er bei WL anfing, ist schwer zu sagen. Weil wir neue Mitstreiter so kritisch beobachteten – Julian war regelrecht paranoid –, vollzog sich der Einstieg eher Schritt für Schritt. Das hatte nichts damit zu tun, dass der Techniker noch relativ jung war. Wir merkten bald, dass er verlässlich arbeitete. Er lernte schnell, und was man ihm zu tun gab, erledigte er ordentlich. Aus internen Angelegenheiten hielt er sich heraus, es war ihm geradezu unangenehm, Zeuge eines Streits zu werden.
Der Techniker kleidet sich eher in Outdoorjacken und festes Schuhwerk als in bunte Szeneklamotten. Er ist recht hager, oft ein bisschen blässlich und spricht eher leise. Über sein Privatleben weiß ich nicht sehr viel. Ob er eine Freundin hat? Ich habe keine Ahnung. Auf der HAR klingelte hin und wieder sein Telefon. Er ist nie rangegangen. Er schaute aufs Display und legte es weg.
Die Hackerkonferenz in Vierhouten war großes Kino für ihn, auch wenn er eine Weile brauchte, um mit anderen Menschen warm zu werden. Nachdem er das Treiben zwei Tage lang von einem Sessel aus beobachtet hatte, fing er an, Leute kennenzulernen, und betrieb bald einen regen Tauschhandel mit Actionfilmen.
Skurrilerweise ernährt der Techniker sich ausschließlich von Joghurt. Sonst isst er nichts. Ich hatte mich während der HAR einmal im Supermarkt durchs gesamte Milchspeisensortiment gekauft, um ihm mit einer Auswahl eine Freude zu bereiten. Aber er ließ die Mehrzahl der Joghurts stehen – er wollte nur die von Danone. Ich hoffe für ihn, dass ihm ein langes Leben beschert ist.
Der »Architekt«, wie wir den zweiten Techniker nannten, kam Anfang 2009 über einen entfernten Kontakt von mir zu WL . Auch er hatte sich schon länger angeboten, bis wir ihm die erste konkrete Aufgabe gaben. Er schrieb uns in wenigen Stunden eine dringend nötige Modifikation und lieferte eine perfekte, elegante Lösung. Ich bin selbst kein besonders begnadeter Programmierer, aber ich erkenne, wenn einer seinen Job gut macht. Und der Architekt war ein Genie. Extrem schnell, smart, immer auf der Suche nach der perfekten Lösung, vorher gab er sich nicht zufrieden. In meinen Augen ist er einer der besten Programmierer der Welt und außerdem ein guter Designer.
Doch Julian sollte den Architekten noch weitere Wochen vor der Tür stehen lassen und seine fertige Lösung ignorieren – was wirklich eine harte Prüfung darstellt für einen derart guten Programmierer. Jeder Firmenboss hätte ihm sofort einen festen Job mit Spitzengehalt zugesagt. Dass der Architekt trotzdem blieb, war ein Wunder und lag nicht zuletzt an meinem Zureden. Julian wand sich regelrecht bei der Vorstellung, einer weiteren Person Zugriff auf den Server zu geben. Auch unserem anderen Techniker hatte er den Zugriff nie wirklich ermöglicht, was die Arbeit für ihn unnötig erschwert hatte.
Als der Architekt dann endlich einen Blick auf das System werfen durfte, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen. Bei allen Drohungen und Skandälchen, die sich später um WL rankten – in den Augen des Architekten lag der eigentliche Skandal hier: in den wild wuchernden Programmzeilen und der schwach aufgestellten, schrottreifen Infrastruktur. Kurz gesagt, was er sah, war Chaos, zu wenig Ressourcen, viel zu angreifbar, stümperhaft zusammengebasteltes Zeug, von definierten Prozessen und anständigen Workflows keine Rede.
Der Architekt machte sich ans Werk. In den folgenden Monaten etablierte er eine saubere Rollenteilung. Die Techniker standardisierten die Formate und leiteten das Material aufbereitet an uns weiter. Sie kümmerten sich also um die Technik, Julian und ich um die Inhalte. Als alles aufgeräumt war, verschickten wir Server in die ganze Welt, und zwar per Post. Freiwillige Helfer nahmen sie dort entgegen und kümmerten sich auch um das
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