Inside WikiLeaks
Hosting. Das war ihre Spende an uns. Wir verteilten unsere Ressourcen also endlich tatsächlich auf verschiedene Jurisdiktionen. Und wir versteckten das Netzwerk, das die unterschiedlichen Server weltweit miteinander verband.
In einem Unternehmen hätte man für diesen Umbau wohl ein ganzes Team ein halbes Jahr lang beschäftigen können, und zwar Vollzeit. Der Architekt übertraf uns an Arbeitseifer noch um ein Vielfaches.
Aber worum ging es ihm, was trieb ihn an, warum zog es ihn zu WL ? Ich glaube, ihn reizte die Aufgabe an sich. Woran wir da bauten, das war schließlich weltweit einzigartig, auch aus technischer Sicht. Das war echte Pionierarbeit, Neuland, ihm bot sich die Chance, so etwas wie der Kolumbus der Whistleblower-Plattformen zu werden, oder zumindest der Daniel Düsentrieb der Submission -Architektur.
Das Projekt war aus einem ganzen Bündel an Gründen anspruchsvoll, sowohl was die Architektur an sich als auch was die strukturellen Überlegungen dahinter betraf. Hinzu kamen der Sicherheitsaspekt und die ganzen juristischen Konstruktionen.
Der Architekt hatte zwar genauso wenig Ambitionen, sich persönlich zu profilieren, wie der junge Techniker. Aber im Gegensatz zu ihm hatte er eine klare Meinung, und die sagte er auch. Sein Ton war für Leute, die ihn nicht kannten, manchmal etwas gewöhnungsbedürftig. Er legte keinen Wert auf höfliche Nebensätze oder Floskeln der Freundlichkeit. Das machte seine Sätze immer recht kurz. Er ließ sich auch nie mit Halbwahrheiten abspeisen oder mit gut gemeinten Beteuerungen. Eine Antwort wie »Vertrau mir mal« ließ ihn böse werden. »Das heißt entweder, jemand hat keine Ahnung, oder er will mich bescheißen«, sagte er. Er bestand auf gute Argumente und nicht auf gute Rhetorik.
Als es später zu größeren Streitigkeiten im Team kam, als die Emotionen hochkochten und die gegenseitigen Beschuldigungen ins Irrationale abglitten, blieb der Architekt immer sachlich. Ich glaube, er fühlte sich keiner Person gegenüber zu Loyalität verpflichtet, weder Julian noch mir gegenüber, höchstens der Idee. Er war völlig unabhängig, treu ergeben einzig der Qualität seiner Arbeit. Da er aber an seine eigene Haltung hohe Maßstäbe anlegte, war man bei ihm immer auf der sicheren Seite. Auch wenn ich mich oft mit ihm gestritten habe – man konnte sich darauf verlassen, dass er nie hysterisch reagierte, nie mit gezinkten Karten spielte, keine geheime Agenda verfolgte und dass er frei war von Neid, Missgunst und Feigheit. Ich weiß nicht, über wie viele Leute man so etwas sagen kann.
Die beiden Techniker, Julian und ich hatten in den zurückliegenden Monaten unser Möglichstes geleistet. Aber elf Monate nach meiner Kündigung bei EDS , Ende 2009, sah es in unserer Kasse so mau aus wie nie zuvor. Die Veröffentlichung der Pager-Nachrichten rund um den 11. September 2001 hatte unsere Mittel erschöpft. Wir hatten mit den 500 000 SMS - und Funkbotschaften einen ersten kleinen Medienhype ausgelöst. Unsere Website brach unter dem Ansturm der Abfragen fast zusammen. Es hatte viel Arbeit gekostet, die Textnachrichten so aufzubereiten, dass sie sich gut lesen ließen.
Wir hatten entschieden, die Meldungen nicht alle auf einen Schlag freizugeben, sondern versuchten die zeitlichen Abläufe der Terroranschläge nachzuempfinden. Dadurch wollten wir den realistischen Verlauf abbilden und vermeiden, die Leser mit der Masse an Informationen zu erschlagen. Außerdem versprachen wir uns davon, die Abrufe auf unserer Seite ein wenig besser steuern zu können.
Wikileaks.org lag immer noch auf einer einzigen Maschine. Für die Pager-Meldungen hatten wir indes eine eigene Website geschaffen, die auf mehrere Server verteilt war. Dass wir das so handhaben konnten, verdankten wir vor allem Freiwilligen, die uns Kapazitäten und Server zur Verfügung gestellt hatten. Dennoch ächzte unsere Infrastruktur aus jeder Platine. Seit einem Jahr waren wir ununterbrochen als Reparaturdienst in eigener Sache unterwegs. Sobald wir eine Stelle fixten, brach eine andere. Die Platte lief permanent voll mit neuen Dokumenten, Hardware musste ausgetauscht werden, wir hatten Probleme mit dem Betriebssystem, das eigentlich dringend ein Update benötigte, ohne dass wir gewusst hätten, an welcher Stelle wir hätten anfangen sollen. Der Architekt steckte mitten in einer Grundüberholung und arbeitete von früh bis spät. Das System war über die Jahre gewachsen, der Programmcode war zu dadaistischen
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