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Inside WikiLeaks

Titel: Inside WikiLeaks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Domscheit-Berg
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– was sogar schon einmal mit Verletzungen oder gar dem Tod eines Neumitglieds endete –, genauso wie die geheimen Codes, Zeichen und Lieder dieser Grüppchen. Das reichte von Altären, auf denen ein Totenschädel, eine Bibel und zwei Knochen gekreuzt werden mussten, über bestimmte Flaggen, die rechts und links an den Fenstern aufzuhängen waren, bis hin zu der Liste einer Chemiker-Bruderschaft, die vorschrieb, was der Neuling zu seinem Initiationsritual mitzubringen hätte. Darauf standen etliche Substanzen, die der neue Bruder vermutlich aus dem Chemielabor seiner Universität entwenden musste, um damit einen gefährlichen Zauber zu entfachen. Ganz unten auf der Liste stand dann noch: »und ein Feuerlöscher«. Sicherheitsbewusst waren die Brüder ja.
    Wir fragten uns natürlich, ob diese Bruderschaften überhaupt relevant genug wären, um ihre Handbücher zu veröffentlichen, und befanden schließlich, dass jedes Neumitglied ein Recht hätte, zu erfahren, worauf es sich einließ, und deshalb publizierten wir sie. Und weil wir einmal damit angefangen hatten, mussten wir alle Bücher, die später noch eingingen, natürlich auch veröffentlichen.
    Das trug uns viel Hass ein. Die Mitglieder von Alphagamma-Irgendwas tauchten regelmäßig bei uns im Chat auf. Wir entwickelten bald ein Gefühl dafür, sie schon an ihrem ersten Satz zu identifizieren.
    Das Gespräch verlief dann in etwa so:
    »Echt tolle Sache hier.«
    Pause.
    »Wirklich, finde ich total gut, was ihr macht.«
    Und dann folgte ein Satz wie: »Ich habe da mal eine Frage bezüglich einer Veröffentlichung …«
    Wir antworteten manchmal direkt: »Sag mal, kommst du auch von so einer Bruderschaft?«
    Einer von ihnen hatte uns ein Handbuch übermittelt, das war Seite für Seite mit einer Digitalkamera abfotografiert. Auf der ersten Seite eines jeden Handbuchs stand eine Nummer, anhand derer man die Universität zuordnen konnte, in der dieses Buch hinterlegt war. Und es gab jeweils eine Person, die dafür zu sorgen hatte, dass dieses Buch geheim bliebe. Diese Nummer hatte die Quelle geschwärzt, um sich nicht selbst zu verraten. Die hochaufgelösten Fotos hatten wir in PDF s umgewandelt und publiziert. Irgendwer hatte die Originalfotos auch in einem Forum hochgeladen, wo die Verbindungsbrüder sie leider entdeckten. Auf den Fotos fiel es nicht schwer, die geschwärzte Nummer von der Rückseite der abfotografierten Seite herauszulesen. Damit war klar, von welcher Universität der Geheimnisverräter stammte.
    Die aufgebrachten Brüder fingen an, Bilder zu suchen, die auf Uni-Servern oder in Communities derselben Hochschule lagen, und die Bilder mit den Metadaten der Fotos des Ritualbuches zu vergleichen. So konnten sie den Kamerabesitzer und wenig später auch den vermeintlichen Übeltäter ermitteln. Das hätte für diese Person ziemlich böse Konsequenzen haben können, solche Bruderschaften lassen sich normalerweise alles urheberrechtlich schützen: jedes Lied und jedes kleinste Abzeichen. Nur die geheimen Rituale nicht, und das war das Glück für den Beschuldigten: Weil die Verbindungen anscheinend derart besorgt waren, dass ihnen jemand ihr Geheimnis rauben könnte, zeigten sie das Handbuch nicht einmal dem Copyright-Büro.
    Dass wir ihre Geheimnisse lüfteten, stürzte unsere treuen Chat-Gäste in tiefes Unglück. Als ihnen klar wurde, dass wir überhaupt nicht daran dachten, die Bücher wieder von der Seite zu nehmen, reagierten sie teilweise mit Wut, viel öfter aber mit Gejammer. Ich habe mich gelegentlich im Chat mit ihnen unterhalten. Sie erzählten mir, dass ihnen nichts im Leben so viel bedeutet wie ihre Bruderschaft. Da halfen auch meine väterlichen Ratschläge wie »Warte doch mal zehn Jahre, dann wirst du vielleicht anders darüber denken« nichts. Nachdem ihre geheimen Rituale und Zeichen im Netz bekannt waren, konnten sie nicht mehr sicher sein, dass es kein falscher Bruder war, der sich bei ihrem nächsten Treffen einschlich.
    Die Lust der Menschen, Geheimnisse zu haben und sie nur mit einem exklusiven Kreis von Menschen zu teilen, das Bedürfnis, andere dadurch auszuschließen, ist kein unerheblicher Grund für die Existenz von Geheimnissen überhaupt. Das war an diesen Bruderschaften sehr plastisch nachzuvollziehen.
    Wenn es stimmt, dass es ein Mensch in der Situation eines Bradley Manning gewesen ist, der das filmische Rohmaterial zum späteren Collateral-Murder -Video bei uns hochlud, dann hätte ich sein Verhalten sogar gut

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