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Inside WikiLeaks

Titel: Inside WikiLeaks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Domscheit-Berg
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verstanden.
    Manning war ein junger Mann in den Zwanzigern, ein Mensch, der isoliert von den üblichen sozialen Bezügen im Irak festsaß, vermutlich umgeben von Soldaten, die eine komplett andere Einstellung zum Kriegseinsatz hatten als er. Er hätte das Bedürfnis gehabt, mit jemandem darüber zu reden, hätte er sich diese Dokumente verschafft.
    Ich hätte es fast unmenschlich gefunden, zu erwarten, dass jemand ein solches Wissen für sich behielte. Wahrscheinlich meldeten sich die meisten unserer Quellen nur deshalb bei uns, weil sie ihr Wissen mit einem anderen Menschen teilen mussten.
    Ich habe durch meine Arbeit bei WL gelernt, dass es echte Geheimnisse so gut wie gar nicht gibt. Wenn ein Satz schon anfängt mit den Worten: »Ich erzähle dir das nur, wenn du mir versprichst, es niemandem weiterzuerzählen, wirklich niemandem, hörst du?«, dann war bereits klar, dass dieses Versprechen mit den gleichen Worten wieder gebrochen werden würde und dass eine solche Einleitung höchstens verhinderte, dass sich eine Sache sehr schnell verbreitete, aber nicht, dass sie überhaupt die Runde machte. Und selbst wenn der beste Freund oder der Ehepartner die Einzigen waren, die von einem Geheimnis erfuhren – spätestens wenn es zu Streitereien kam, drohte dem Geheimnis auch hier Verrat.
    Wer auch immer diese Unterlagen kopiert hatte, war ein großes Risiko eingegangen. Möglicherweise war dem Whistleblower zu dem Zeitpunkt das ganze Ausmaß nicht einmal bewusst gewesen. Vielleicht hatte er geahnt, dass er etwas Verbotenes tat, aber nicht, was ihm dafür drohte, und vermutlich wurde er von dem Gefühl angetrieben, das moralisch Richtige zu tun. Wem auch immer wir das Material verdankten: Es hätte eines Menschen bedurft, der diese Person eindringlich und immer wieder daran erinnert hätte, dass er mit NIEMANDEM darüber sprechen durfte.
    Wir haben über technische Lösungen dafür nachgedacht. Wir überlegten, ob man eine Art Token generieren könnte, einen Code, den nur derjenige kennt, der ein konkretes Material übermittelt hatte. Und dieses Token könnte verknüpft sein mit einer Prämie, sobald der Fall verjährt wäre. Die Quelle könnte dann vielleicht zwanzig Jahre später ein T-Shirt bekommen, oder wer weiß, vielleicht sogar ein paar Unterhosen, die sie als Auszeichnung unter der normalen Kleidung tragen könnte, mit einem Aufdruck von WikiLeaks.
    Nicht nur einmal hätten wir uns ein Feedback-System gewünscht, klar. Wir haben sogar über einen echten Rückkanal nachgedacht. Eigentlich besteht ja nun die Konstruktion und auch ein beträchtliches Maß der Sicherheit bei WL darin, dass es absolut keine Möglichkeit gibt, die Quelle ausfindig zu machen. Auf der anderen Seite wäre das auch für Journalisten sehr hilfreich gewesen. Aber das war schon viel zu weit gedacht, denn würde man erst die Journalisten auf eine Quelle loslassen, könnte man sie wohl überhaupt nicht mehr vor sich selbst beschützen.
    Aus meiner Erfahrung würde ich keinem Whistleblower raten, sich mit seinem digitalen Geheimdokument an die traditionelle Presse zu wenden. Auch wenn es dort einen persönlichen Ansprechpartner und vielleicht sogar eine eigene kleine Kasse für solches Material gibt.
    Die garantierte Anonymität der Quelle war ja der große Vorteil von WikiLeaks gegenüber allen klassischen Formen des Enthüllungsjournalismus. Während in den meisten Ländern der Welt kein Journalist seiner Quelle ernsthaft versichern kann, dass sein Name vor den Ermittlungsbehörden mit ihren Erzwingungsmethoden und Rechtsmitteln sicher wäre, sicherte WikiLeaks durch die technische und juristische Konstruktion, dass Whistleblower tatsächlich anonym blieben und nicht zu einer Aussage gezwungen werden konnten. Aber die rechtliche Sicherheit ist nur ein Teil des Problems. Im Laufe unserer Arbeit stellten wir immer wieder fest, wie naiv die meisten Journalisten mit Kommunikationsmitteln umgingen. Sensible Dokumente sind auf den Computern der meisten Journalisten alles andere als sicher.
    Wann wäre ein Dokument so gefährlich, dass wir es nicht mehr publizieren könnten? Darüber haben wir nicht zuletzt im Zusammenhang mit den diplomatischen Depeschen viel diskutiert. Nachdem Manning verhaftet worden war, stellte sich die Frage noch einmal anders. Wann wäre ein Dokument so gefährlich für die Quelle, dass wir es nicht mehr publizieren dürften?
    Theoretisch tritt diese Frage allerdings bei jeder Veröffentlichung auf. Was zum Beispiel sollten

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