Inside WikiLeaks
Chat überhaupt sein kann. Identitätsnachweise sind im Chat nicht leicht zu führen.
Möglicherweise waren die Hintergründe viel banaler. Falls die USA nur im Nachhinein versucht haben sollten, diesen Zufallsfund durch Adrian Lamo als eigene Ermittlung darzustellen – so zu tun, als wäre man vor Entdeckung nirgends mehr sicher, war ein kluger Schachzug.
Vielleicht wird man die Wahrheit nie erfahren. Die Verhandlungen vor Militärgerichten sind nicht öffentlich. Die Beteiligten werden einige Mühe investieren, um sicherzustellen, dass niemand Informationen über das Verfahren herausschmuggelt.
Wenn Leute im Chat auftauchten, die offensichtlich Material anzubieten hatten, gerieten sie witzigerweise oft zunächst an mich. Es war wichtig, sie dazu anzuhalten, auf keinen Fall schon im Chat zu viel von sich preiszugeben. Das war ein Standardspruch, die Warnung, die wir bei jeder Gelegenheit wiederholten: keine Namen, keine Infos, die zur Identifizierung beitragen könnten. Wir mussten unter allen Umständen verhindern, dass die Leute etwas schrieben, was Rückschlüsse auf ihre Person ermöglichte. Unsere internen Standards waren sehr hoch, wir mussten uns selbst entsprechende Zurückhaltung auferlegen.
Julian hatte ein gutes Gespür für besonders interessantes Material und auch dafür, womit man politischen Einfluss ausüben könnte. Das hatten wir in der Zwischenzeit gelernt – auch anhand vieler Negativbeispiele, Dokumente, die wir fälschlicherweise für interessant gehalten hatten.
Wir hatten zum Beispiel eine ganze Reihe sogenannter Field Manuals, darunter die Handbücher der US-Armee zur unkonventionellen Kriegsführung. Darin wurden die Methoden beschrieben, mit denen man andere Länder von innen heraus schwächte und stürzte, um ein Militärregime zu errichten. Ich habe damals gedacht, für diese Unterlagen müssten uns die Journalisten eigentlich die Türen einrennen. Doch sie blieben völlig unbeachtet, weil das Thema viel zu komplex war.
Ganz anders lag der Fall bei dem Videomaterial. Auch wenn es nur einen einzelnen Vorfall abbildete, war schnell klar, dass es gerade deshalb große Wirkung entfalten würde. Vor allem Julian hatte für so etwas einen exzellenten Blick.
Wenn er mir später vorwarf, ich wäre typisches Middle Management, gab das womöglich einen guten Einblick in sein eigenes Denken. Er konnte noch so oft die Telefonnummern wechseln und die Vorhänge zuziehen und harmlose Flugzeuginsassen vor seinem inneren Auge in Spione des State Department verwandeln – im Grunde waren wir alle Verwalter, Manager, Pressesprecher, aber keine Kombattanten des Untergrunds. Wir waren diejenigen, die Server mieteten. Wir warteten auf Dokumente. Weder bestellten wir welche, noch hackten wir sie, und wir erteilten auch keinerlei Aufträge. Das jedenfalls hätte nicht unserem Selbstverständnis entsprochen, und ob es Julian nun sexy genug erschien oder nicht, es war absolut notwendig, dass wir das so sahen.
Im Grunde war schon unsere »Most Wanted«-Liste, die wir in Anlehnung an eine ähnliche Liste des Center for Democracy and Technology auf die Seite gestellt hatten, um den sportlichen Ehrgeiz potentieller Zuträger zu erhöhen, ein Eingriff an der Grenze zur Einmischung. Allerdings hatten nicht wir persönlich die Liste erstellt, sondern lediglich die Leser dazu aufgerufen, eine vorbereitete Liste mit Inhalt zu füllen.
Nach außen kommunizierten wir dann, dass wir Manning nach Kräften unterstützen wollten, ohne dass wir damit unterstellten, dass er etwas mit den Leaks zu tun gehabt hätte. Julian verkündete, er würde ihm die besten Anwälte organisieren und in den Medien eine riesige Welle lostreten. Er bat öffentlich um Spenden, die Rede war von 100 000 Dollar, um Manning die beste Betreuung zukommen zu lassen. Ich besorgte den Server, auf dem wir eine Unterstützungskampagne laufen lassen wollten, um den Inhalt sollte sich jemand anders kümmern.
In diesem frühen Stadium geriet die Hilfsaktion bereits ins Stocken.
Fragte ich Julian nach Kontakten zu Mannings Anwälten, erfuhr ich nichts Konkretes. Dabei riefen bei mir deswegen ständig Journalisten an und ließen nicht locker. Und die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler hatte sich bei mir gemeldet mit der Idee, Manning für ihren Whistleblower- Preis zu nominieren.
Julian antwortete auf meine Nachfrage.
J: i have no time to explain that and given you don't need to know it; next ...
J: i know why you were asking which makes it
Weitere Kostenlose Bücher