Inside WikiLeaks
wir machen, wenn eine Quelle uns drei Tage später kontaktierte und uns bat, die Dokumente doch wieder zu löschen? Sollte nicht immer die Quelle das letzte Wort haben?
Wir hatten über diesen Fall schon einmal diskutiert im Zusammenhang mit einem Leak, der Italien betraf – und für den sich übrigens kaum jemand interessieren sollte. Es ging um eine unsaubere Auftragsvergabe, unserer Quelle zufolge ein Fall von Korruption. Sie meldete sich dann jedoch ein paar Tage nach der Publikation, um uns zu bitten, den Korruptionsvorwurf wieder zurückzuziehen. Ich habe dann in der Beschreibung der Dokumente das Wort »Korruption« durch eine mildere Formulierung ersetzt. Aber die Veröffentlichung habe ich nicht zurückgezogen. Das wäre auch technisch gar nicht so einfach möglich gewesen.
Daraus ergaben sich eine ganze Reihe von Fragen: Wie konnten wir sicherstellen, dass eine Quelle, die uns nachträglich bat, ein Dokument wieder zu löschen, nicht von anderen unter Druck gesetzt worden war? Wie konnten wir sicherstellen, dass deshalb nicht in Zukunft noch mehr Quellen unter Druck gerieten, wenn wir dem einmal nachgaben? Und wie konnten wir sicher wissen, dass es überhaupt die Quelle war, die uns darum bat? Wir kamen zu dem Schluss, dass es für alle Beteiligten am Ende das Beste wäre, wenn wir »Publikation nach Einreichung« als unantastbares Prinzip beibehielten. Wer sich dazu entschlossen hatte, das Dokumente bei uns hochzuladen, der hatte damit entschieden, dass es veröffentlicht werden sollte. Irgendeinen Zeitpunkt mussten wir ja festsetzen.
Im Gegenzug galt es stets, Ideen zu entwickeln, wie wir negative Konsequenzen für unschuldig Beteiligte verhindern konnten. Wir mussten alle Aspekte bedenken, die für die Personen, die in den Dokumenten auftauchten, oder eben für die Quelle, zum Problem werden konnten. Mal löschten wir Namen oder schnitten ganze Kontexte, sowie Telefonnummern und Adressen heraus. Dass auch das nicht immer so gelang, wie es hätte sein müssen, sollte das größte Problem unserer nächsten Leaks werden.
Dennoch war es wichtig zu signalisieren, dass es keinen Sinn hatte, Druck auf eine Quelle auszuüben. Denn wir würden publizieren, egal was passierte. Ich glaube, das war im Großen und Ganzen eine schlüssige Entscheidung.
Wir hatten – von wem auch immer – diese amerikanischen Dokumente bekommen und das Video am 5. April 2010 bereits publiziert. Im Mai wurde dann Manning verhaftet. In dieser undurchsichtigen Lage hätte sich jede weitere Veröffentlichung amerikanischer Dokumente für uns verbieten müssen. Mit jedem weiteren Release liefen wir Gefahr, Ansatzpunkte für Ermittlungen zu liefern, gegen wen auch immer. Ich war von Anfang an dagegen gewesen.
Um eine Frage ranken sich viele Mythen. Es ist die, was letztlich zur Verhaftung von Manning geführt haben könnte. Vordergründig war es ganz einfach: Er hatte mit Lamo gechattet und dadurch die Ermittlungen in Gang gesetzt. Doch rundherum ranken sich zahlreiche Geschichtchen und Verschwörungstheorien.
Aus den USA gab es einige Hinweise, die diese Entdeckung nicht ganz so zufällig aussehen ließen, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Auf der Defcon, einer Sicherheitskonferenz für Computertechnik im August 2010 in Las Vegas, gab es einen Vortrag über das Regierungsprojekt »Vigilant«. Darin hieß es, Security-Mitarbeiter auf der ganzen Welt würden »Vigilant« zuarbeiten und im großen Maßstab das Internet nach verdächtigen Beziehungen und Datentransfers abscannen, um Verbindungen zwischen Leuten aufzudecken und zu bemerken, wenn diese sehr viel Material von A nach B weitergaben.
Gut möglich, dass häufiger Mitarbeiter der US Army auf den eigenen Servern herumschnüffelten. So weit war das unproblematisch. Schließlich hatten ja mehr als zwei Millionen Menschen in den USA auf Dokumente mit der gleichen Geheimhaltungsstufe wie die der Cables Zugriff. Wirklich aktiv wurden die Geheimdienste erst, wenn das Material offenkundig weitergegeben wurde. Und in diesem Zusammenhang wäre nun Manning aufgefallen, hieß es in dem Vortrag. Später wurde diese obskure »Vigilant«-Geschichte allerdings wieder dementiert.
Andere noch obskurere Theorien ranken sich um angebliche private Motive. Lamo selbst begründet seinen Verrat damit, dass er den weltpolitischen Sprengstoff dieser Dokumente erkannt hätte und sich daher zum Handeln verpflichtet fühlte. Schließlich stellt sich die Frage, wie beweiskräftig ein
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