Inside WikiLeaks
auf Konferenzen in billigen Pensionen untergebracht oder übernachtete bei Freunden.
Als ich Anke in Berlin kennenlernte, war uns schon nach einer Woche klar, dass ich bei ihr einziehen würde. Ich glaube, als sie später das rote Sofa im Keller des Clubs gesehen hat, auf dem ich die längste Zeit gehaust hatte, war sie sehr erleichtert, mir das angeboten zu haben. Ankes Wohnung war groß, gemütlich, es gab diese Kissenecke im Wohnzimmer, und die Küche war ein Geschenk für meine ausgehungerte Nomadenseele. Gut möglich, dass Julian viel mehr Nomade war als ich und dass ihm das alles gar nichts ausmachte. Ich hätte nach meiner Zeit auf dem roten Sofa im Club aber gut verstanden, wenn dem nicht so gewesen wäre.
Ich wurde dann übrigens auch Vater. Mein neuer Sohn hieß Jacob und war zehn Jahre alt. Man mag es mir glauben oder nicht, wir verstanden uns von Sekunde null an. Von meiner glücklichen neuen Home-Base aus arbeitete ich mit frischer Kraft weiter am Projekt.
Im Chat ging es damals zunächst sehr ruhig zu. Die anderen hatten mit der Vorbereitung des Videos offensichtlich viel zu tun, so dass sich keiner mehr im Chat verausgabte. Doch wenig später brachen die ersten Debatten aus, dabei ging es vor allem um die Medienstrategie und um Spendengelder.
Julian behauptete kurz nach dem Leak, dass die Arbeit an Collateral Murder 50 000 Dollar gekostet hätte. Diesen Betrag wollte er durch Spenden wieder hereinbekommen. Er behauptete auch, dass er viel Arbeit damit hatte, das Videomaterial zu entschlüsseln. Ich weiß, dass das nicht so ganz stimmte. Hin und wieder bekamen wir verschlüsselte Filme, aber bei diesem Video hatte das Passwort beigelegen. Die Datei musste nur ein bisschen hochgerechnet werden, um die Bildqualität zu verbessern, und selbst das haben zum großen Teil freiwillige Helfer für uns erledigt. Im Grunde musste Julian zu dem Zeitpunkt nicht viel mehr als die Miete für das Haus und seinen eigenen Flug bezahlen. Die Rechenkapazität für die Server wurde uns auch von Freiwilligen zur Verfügung gestellt.
Ingi und Kristinn, die Julian in den Irak geschickt hatte, um dort mit Augenzeugen zu sprechen und Hintergründe zu recherchieren, meldeten sich später bei mir und baten mich um die Erstattung ihrer Flugkosten nach Bagdad. Sie hätten das Geld dafür ausgelegt, und Julian hätte ihnen eigentlich versprochen, die Kosten zu erstatten.
So könnten wir in Island zum Beispiel eine eigene Stiftung gründen, um das Geld dafür im Nachhinein zusammenzubekommen. Julian hatte offenkundig entdeckt, dass Spenden für WL ein Businessmodell waren, über das sich jederzeit erhebliche Summen organisieren ließen.
Ich bat dann bei der Wau Holland Stiftung um eine Auslage für die beiden Isländer und gab ihnen das Geld zurück.
Im Zusammenhang mit dem Collateral-Murder -Video tauchte auch zum ersten Mal die Frage nach den Rechten an unseren Publikationen auf. Fernsehsender riefen bei uns an und fragten, ob sie das Video übernehmen könnten, ob es auch in höherer Auflösung zur Verfügung stünde und wie teuer es wäre. Wir einigten uns darauf, dass sie dafür Geld spendeten oder, wenn etwa wie beim ZDF die Statuten das nicht zuließen, uns stattdessen für unsere Interviews Honorare zahlten. Insgesamt hatten die ganzen Geldgeschichten um das Video einen unangenehmen Beigeschmack, das empfand nicht nur ich so. Doch Diskussionen mit mir und den anderen bügelte Julian immer ab und sagte, wir sollten seine Position in diesen schwierigen Zeiten nicht anzweifeln: »Do not challenge leadership in times of crisis.«
Julian flog nach Washington in den National Press Club, um eine Pressekonferenz für das Collateral-Murder -Video zu geben, in Begleitung von Rop. Er verließ den gemeinsamen Chat kurz vor seinem Abflug mit den Worten: »Jetzt beende ich mal einen Krieg.«
Vermutlich hätte man darauf antworten müssen: »Ja, bis später dann. Soll ich dir noch ein paar Butterstullen einpacken?« Ich bin ja Optimist und halte nichts von falscher Bescheidenheit. Aber diese Ansage war ein bisschen über dem Limit.
Später war auch mal die Rede davon, dass wir den Friedensnobelpreis bekommen könnten. Der Architekt hatte das mir gegenüber erwähnt, Julian hätte es ihm so gesagt. Ich war erstaunt.
»Es besteht eine Chance, dass wir den Friedensnobelpreis kriegen«, sagte mir auch Julian. Später entdeckte ich in unserem Mail-Eingang eine Nachricht von einem schwedischen Unterstützer, der uns schrieb, er
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