Inside WikiLeaks
Verhaftung von Bradley Manning
Die nächste Lektion, die wir zu lernen hatten, war sehr, sehr unerfreulich: Im Mai 2010 wurde der amerikanische Intelligence Analyst Bradley Manning verhaftet. In einem Chat hatte eine Person, die von den amerikanischen Behörden für Bradley Manning gehalten wurde, dem ehemaligen Hacker Adrian Lamo gegenüber behauptet, geheime Militärdokumente an uns weitergegeben zu haben. Lamo hatte daraufhin die Behörden informiert. Zu dem Material, das diese Person angeblich von Servern des US-Militärs gezogen hatte, sollen Videoaufnahmen gehört haben, die wir für das Collateral-Murder -Video verwendet hatten, und die Depeschen der amerikanischen Botschafter, die Cables .
Wir erfuhren aus den Nachrichten von der Verhaftung Mannings. Ich saß gerade an meinem Rechner, als die ersten Meldungen dazu in Online-Medien auftauchten. Es war der schlimmste Moment in der Geschichte von WikiLeaks.
Der ehemals im Irak stationierte Manning sitzt in den USA im Gefängnis. In dem amerikanischen Online-Magazin salon.com berichtete Glenn Greenwald im Dezember 2010, dass er dort sehr schlecht behandelt wird, nicht einmal Kissen und Bettzeug bekommt. Er wird 24 Stunden am Tag bewacht, 23 Stunden davon in Isolationshaft. Er darf nicht einmal Liegestütze machen. Ein eigens für ihn abgestellter Wachmann passt auf, dass er sich daran hält.
Unter anderem plädierte der republikanische Kongressabgeordnete Mike Rogers dafür, Manning zum Tode zu verurteilen. Der Staatsanwalt hat mindestens 52 Jahre Haft gefordert. Uns war sofort klar, dass die USA die Chance, an Manning ein Exempel zu statuieren, kaum vorbeiziehen lassen würden. Wer auch immer uns als Nächstes Material anbieten wollte, er würde dabei an Manning und an die Konsequenzen denken, die ihn erwarteten.
Als wir von Mannings Verhaftung erfuhren, kommunizierten wir, dass wir ihm in seiner Situation jede erdenkliche Unterstützung zukommen lassen wollten, sei es mit Geld, sei es mit Anwälten oder indem wir die Öffentlichkeit zu seinen Gunsten mobilisierten.
Wir konnten und wollten ja selbst nicht wissen, wer unsere Quellen waren. Das war Teil des Sicherheitskonzepts. Wir baten die Whistleblower lediglich um eine Begründung, weshalb das Material ihrer Meinung nach einer Veröffentlichung wert sei. Wir wollten damit unter anderem ausschließen, dass unsere Plattform zu persönlichen Rachefeldzügen missbraucht wurde.
Diese Begründungen fielen stets sehr individuell aus: Unsere Quellen konnten zum Beispiel frustrierte Angestellte, verprellte Wettbewerber oder auch moralisch motivierte Menschen sein – das Spektrum war groß. Wir sorgten dafür, dass sich die Informanten mit ihren Beschreibungstexten nicht selbst in Gefahr brachten. Ihr Schutz hatte oberste Priorität. Jedenfalls sollte das so sein – ob wir später in dieser Hinsicht alles richtig gemacht haben, steht auf einem anderen Blatt. Vor sich selber konnten wir die Informanten indes nicht schützen.
Das erste Mal begriffen wir die sozialen Defizite unseres Projekts. So gut wir auf unterschiedliche Krisenszenarien vorbereitet waren und wie viel wir auch immer darüber sprachen, dass wir uns selbst mit Cryptophonen oder stabilen Haustürschlössern absichern müssten – diesen Punkt hatten wir nicht ausreichend bedacht. WikiLeaks verteilte Anerkennung und Risiko höchst ungleich: Während wir uns halbwegs gefahrlos im Blitzlichtgewitter des öffentlichen Interesses sonnten, gingen unsere Quellen leer aus, was den Ruhm betraf. Dafür trugen sie das weitaus größere Risiko. Ohne ihre Zivilcourage und ohne die brisanten Dokumente, die sie heimlich kopierten und auf unserer Plattform ablegten, hätten wir ja der Öffentlichkeit niemals derartig spannende Einblicke ermöglichen können.
Es hatte in der Geschichte von WL schon einen Fall gegeben, lange vor Manning, lange nicht so brisant, in dem eine angebliche Quelle beinahe als solche identifiziert worden war. Da ging es um Studentenverbindungen in den USA .
Diese Bruderschaften waren so etwas wie ein Running Gag bei WL , ihre geheimen Ritualhandbücher gingen regelmäßig bei uns ein. Am Ende hätten wir mit Kappa Sigma, Alpha Chi Sigma, Alpha Phi Alpha, Alpha Kappa Alpha, Pi Kappa Alpha, Sigma Chi, Sigma Alpha, Epsilon, Sigma Phi Epsilon und wie diese Vereinigungen alle hießen, ein ganzes Bücherregal füllen können.
Diese Bücher enthielten unter anderem die Initiationsrituale, mit denen neue Mitglieder schikaniert wurden
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