Inside WikiLeaks
zusammenarbeiten, nicht nur mit den drei bereits informierten. Doch Journalisten werden zu Hunden, die zähnefletschend ihren Knochen verteidigen, wenn sie um eine gute Geschichte fürchten. Die Medien, die wir bis dahin ins Boot geholt hatten, wollten ihre Storys natürlich exklusiv.
Marc Thörner zum Beispiel hatte schon viel und gut über Afghanistan geschrieben. Er war lange als Reporter im Land gewesen, und die Presse hatte sein Buch »Afghanistan Code« sehr gelobt. Ihn wollten wir gerne in die Recherchen einbinden und ihm ebenfalls ermöglichen, einen Blick auf die Dokumente zu werfen. Doch die anderen Medien rümpften die Nase. So ein dahergelaufener freier Journalist sollte beteiligt werden? Das konnten die großen Zeitungen niemals zulassen. Man bewege sich in einer ganz anderen Liga, hieß es.
Auf Druck der anderen Medien musste Marc Thörner, der später für den Tagesspiegel den fundiertesten Bericht zu dem Thema schreiben sollte, einen Tag später veröffentlichen als die großen drei. Obwohl wir gesagt hatten, dass wir uns niemals die Hoheit darüber abnehmen lassen wollten, mit wem wir zusammenarbeiteten und wie, gaben wir schon an dieser frühen Stelle klein bei.
Für mich persönlich wäre das nie verhandelbar gewesen, und dem Spiegel gegenüber habe ich das auch so vertreten. Guardian und New York Times übten wesentlich mehr Druck aus. So konfrontativ Julian auch mit vielen von uns umsprang, bei den Journalisten dieser Zeitungen gab er sich zunächst ganz zahm. Ich weiß natürlich, dass es nicht immer schön ist, sich bei den Medien unbeliebt zu machen. Es bestand auch gar kein Zweifel, dass die Kollegen schon ein bisschen länger im Geschäft waren als wir. Was hatten wir geglaubt? Es war ihre Kernkompetenz, exklusive News zu ergattern. Wir brauchten uns gar nicht einzubilden, dass sie nicht versuchen würden, uns ihre Regeln aufzudrücken.
Unser Plan hatte ursprünglich vorgesehen, dass wir uns alle in London zusammensetzen sollten. Es war anfangs sogar die Rede davon gewesen, dass wir uns in einen Kellerraum einsperren und gemeinsam über das Material beraten wollten. Niemand sollte den Raum verlassen – ähnlich einer Klausur, wie es sie schon beim Collateral-Murder -Video gegeben hatte.
Über eines waren wir uns außerdem einig: Den Journalisten gegenüber durfte kein Wort darüber verloren werden, dass es darüber hinaus noch weiteres Material gäbe. Von den Dokumenten, die zusätzlich zum Afghanistankrieg bei uns eingetroffen waren, hatten wir uns zwar bis dahin nur einen ersten Überblick verschafft. Wir ahnten aber, auf was für einem Sprengstoff wir da saßen.
Es lief alles ganz anders. Julian fuhr allein nach London, unsere Unterstützung hatte er abgelehnt. Wie ich später hörte, machte der Kollege von der New York Times gleich klar, dass er lieber in der heimischen Redaktion arbeiten wollte. Und zwar, nachdem er sich nicht nur die Afghanistan-Dokumente auf seinen Laptop gezogen hatte. Auch die Dokumente zum Irak-Krieg, die niemals zur Disposition gestanden hatten, waren da bereits auf seine Festplatte gewandert. Dann stieg er in den Flieger und verschwand. Das verstieß gegen alle unsere Absprachen.
David Leigh vom Guardian übernahm die Koordination. Julian habe bei den Gesprächen oft vollkommen übermüdet gewirkt oder sei komplett versunken in die Arbeit an seinem Computer gewesen, berichteten mir die Spiegel -Journalisten.
Es konnte schon bald keine Rede mehr davon sein, dass wir Herren des Verfahrens waren. Zumal wir mit der technischen Aufbereitung der Dokumente voll und ganz ausgelastet waren. Unsere Techniker arbeiteten rund um die Uhr daran, die Dokumente in ein lesbares Format zu verwandeln.
Als Veröffentlichungstermin war ein Montag vorgesehen, damit der Spiegel als Wochenmagazin seinen normalen Turnus einhalten konnte. Dafür stellte das Heft eigens den Produktionsprozess um: Am Sonntag gab es keine Vorab-Exemplare für die Berliner Abgeordneten, und auch die ePaper-Version sollte später verschickt werden.
Am Mittwoch vor der geplanten Veröffentlichung traf ich mich mit Marcel Rosenbach und John Goetz bei einem Italiener in der Behrenstraße zum Mittagessen. Ich hatte überhaupt gar keinen Hunger, aus Höflichkeit bestellte ich irgendein Hauptgericht mit Nudeln. Während die beiden erzählten, wickelte ich die Teigspeisen gemächlich auf meine Gabel. Die Journalisten berichteten, wie gut alles bei ihnen lief. Ich guckte interessiert zu, wie meine
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