Inside WikiLeaks
anstießen, welchen Sinn dieser Krieg hatte, lag vermutlich auch an der unglaublichen Datenmenge, die in dem Material enthalten war: Die Sammlung war zu groß und zu komplex, als dass jedermann in die Debatte einfach hätte einsteigen können. Zudem standen ausgerechnet in den 14 000 Dokumenten, die wir nicht veröffentlicht hatten, die wesentlich brisanteren Dinge. Die meisten Geschichten, die Spiegel, Guardian und New York Times aus dem Material machen sollten, bezogen sich auf diese Papiere. Für die drei Medienpartner war es am Ende also sehr lohnenswert, dass sie die Dokumente weiter exklusiv ausschlachten konnten, während die Konkurrenz nur auf den Rest zugreifen würde.
Natürlich konnte man den einzelnen Journalisten nicht vorwerfen, dass sie nach guten Geschichten suchten und die auch gerne exklusiv hatten. Zu den meisten Journalisten habe ich ein gutes Verhältnis. Aber die Funktionsweise der Medien, diese Sucht nach der exklusiven Information, der ständige Versuch, so viel wie möglich aus uns herauszuholen, diese Mischung aus permanenter Neugier und freundlicher Überheblichkeit, die hat mich gelegentlich auch genervt.
Ich erinnere mich noch an die Zeit, als wir nicht bekannt waren, als ich bei den Medien anrufen musste, um sie auf gutes Material aufmerksam zu machen. Als sie mich weder zurückriefen noch meine Mails beantworteten. Die Mehrzahl der Journalisten beurteilte uns gerade in Deutschland anfangs sehr kritisch und schrieb kluge Analysen darüber, welche Probleme mit unserer Plattform einhergingen. Das war okay. Bei einigen änderte sich das allerdings, als sie merkten, wie viel Aufmerksamkeit sie mit unserem Material generieren konnten. Sie fingen an, uns zu hofieren. Das fand ich merkwürdig.
Immer häufiger tauchte in den Debatten über die Leaks dieser Zeit auch die Kritik auf, WL habe sich auf die USA als Hauptfeind eingeschossen. Dabei gäbe es doch viele Winkel der Erde, die es ebenso verdienten, beleuchtet zu werden. Und tatsächlich bezogen sich alle großen Veröffentlichungen des Jahres 2010 auf die Weltmacht USA .
Das hatte mehrere Gründe. Julians Antiamerikanismus speiste sich zum einen aus der schlichten Tatsache, dass die USA in die meisten weltpolitischen Konflikte federführend verwickelt waren. Zumal bei vielen Einsätzen der Verdacht nahelag, dass die USA auch aus wirtschaftlichen Gründen Krieg führten. Dabei wog besonders schwer, dass man sich in die Politik fremder Länder einmischte. Dennoch muss man natürlich Regierungen genauso kritisieren, die Verbrechen an ihrer eigenen Bevölkerung verüben.
Das war der eine Grund. Ein weiterer ganz banaler kommt hinzu: die Sprachproblematik. Keiner von uns sprach Hebräisch oder Koreanisch. Es war oft schwierig genug, die Bedeutung eines englischsprachigen Dokuments zu ermessen. Julian kann zudem keine einzige Fremdsprache. Während er seine Überlegenheit als Muttersprachler in internen Diskussionen gerne ausspielte und bei für ihn unangenehmen Debatten geschickt mit haarspalterischen Belehrungen über die Bedeutung bestimmter Wörter ablenkte, konnte er sich selbst oft weder Namen von ausländischen Medien noch von unseren Mitstreitern merken. In einem Fernsehinterview, das er nach meinem Austritt aus WL gab, verknotete er sich sogar an meinem Nachnamen. Wir hätten noch mehr freiwillige Helfer finden müssen, die uns bei den Übersetzungen geholfen hätten, und scheiterten ja lange Zeit schon bei dem Versuch, Mitstreiter für viel grundlegendere Arbeiten zu integrieren.
Viel wichtiger war aber der dritte, letzte Grund: Wir hatten uns mit den USA den größtmöglichen Gegner ausgesucht. Julian Assange vergriff sich nicht an Schwächeren, sondern wählte sich die mächtigste Nation der Welt zum Feind. Die eigene Größe ließ sich an der Größe des Feindes messen. Wieso sollte er sich in Afrika oder in der Mongolei verkämpfen oder sich mit dem thailändischen Königshaus herumstreiten? In Afrika oder Thailand in einem Knast zu landen oder mit Betonfüßen in einem russischen Fluss zu verschwinden wäre weitaus weniger attraktiv, als die Weltöffentlichkeit unter aufgeregter Dauerbegleitung durch die Medien darüber zu informieren, dass die Vereinigten Staaten einem den Geheimdienst auf den Hals gehetzt hätten. Und in die Hauptnachrichten schaffte man es mit dieser Strategie garantiert.
Das größte Problem im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Afghan War Diaries war nun, dass Julian seinen Bauchladen
Weitere Kostenlose Bücher