Inside WikiLeaks
machen, sollte Julian an Schweden ausgeliefert werden.
So war das definitiv nicht gedacht. Die Insurance -Datei sollte bedrohte Mitarbeiter und unsere Dokumente schützen und nicht dazu dienen, dass sich Julian Ermittlungen in einem demokratischen Land entzog. Zumal es sich um einen rein privaten Vorfall handelte.
Dass wir grundsätzlich so einen Sicherheitsmechanismus gut gebrauchen konnten, bestätigte sich spätestens, als Jake Appelbaum bei seiner Einreise in die USA festgesetzt und verhört wurde. Alles, was er sich zuschulden hatte kommen lassen, war, dass er stellvertretend für Julian auf einer Konferenz über WikiLeaks gesprochen hatte – vermutlich, weil er es wichtig fand, dass WL dort präsentiert wurde. Das reichte, um bei seiner Einreise in die USA seinen Laptop zu konfiszieren, ihn zu durchsuchen und mehrere Stunden festzuhalten. Wir machten danach böse Witze, dass alle Kontakte, die in seinem Mobiltelefon gespeichert waren, jetzt Probleme bei der Einreise in die USA bekämen.
Der Zwischenfall war sehr ärgerlich für Jake. Im Vergleich dazu erschienen Julians Verfolgungsgeschichten eher harmlos. Als die Beamten bei seiner Einreise nach Australien im Mai 2010 seinen Pass einbehielten, lief dieser vermeintliche Skandal weltweit über die Agenturen. Julian gab danach mehrere Interviews im australischen Fernsehen, in denen er darauf hinwies, dass er nirgends mehr sicher sein könne. Ich habe diesen Reisepass selbst gesehen. Er war total zerfleddert. Vermutlich hatte sich einfach mal jemand kurz davon überzeugen wollen, dass es sich überhaupt um ein echtes Ausweispapier handelte und nicht um Altpapier. Die Beamten gaben Julian den Pass schon nach einigen Minuten wieder zurück.
Als Nächstes behauptete Julian, er könne nicht mehr sicher aus Australien ausreisen, das sei zu gefährlich. Ich sollte damals einen Vortrag vor dem Europäischen Parlament halten, es ging um eine Informationsveranstaltung zum Thema Internetzensur. Julian bat darum, dass ich aus- und er statt meiner eingeladen wurde. Sein Argument war, dass ihn die Geheimdienste nur in Ruhe ließen, wenn er unter dem Schutz des Europäischen Parlaments ausreiste. Weil die im Parlament auf ihn warteten, könne man nicht wagen, ihn zu kidnappen oder umzubringen. »Ich brauche politisches Cover«, hieß das in seiner Sprache. Ich habe immer gedacht, uns würden höchstens mal ein paar frustrierte Burschenschaftler oder NPD -ler auflauern, um uns zu verprügeln. Niemand würde ein australisches Passagierflugzeug kidnappen, um Julian Assange aus dem Weg zu räumen.
Julian begann in dieser Zeit außerdem, den 17-jährigen Isländer stärker bei WL einzubinden, und diese Geschichte kommt mir bis heute merkwürdig vor. Uns warnte er immer vor dem Jungen. Er sei ein Lügner und nicht vertrauenswürdig. Julian wollte auf jeden Fall verhindern, dass wir mit ihm sprachen. Umso erstaunter war ich, dass er sogar eine eigene E-Mail-Adresse bei WL bekam. Das hatten in der ganzen Zeit nur sehr wenige Personen, vielleicht zehn bis zwanzig, keinesfalls mehr. Julian kaufte ihm zwei Laptops und hatte ihm ja sogar eines der Cryptophone gegeben.
Zusätzlich wurde Julian sehr nachlässig, was unsere Sicherheitsvorkehrungen anging. Die Mails an den 17-Jährigen sowie an den späteren Sprecher Kristinn wurden automatisch an deren gmail-Adresse weitergeleitet, und zwar einzig aus Gründen des Komforts. Ich fragte mich, ob man es den Amerikanern wirklich so einfach machen musste, unsere interne Kommunikation mitzulesen. Und ob man dann nicht auch auf die teuren Cryptophone verzichten könnte.
Julian wurde auch immer unvorsichtiger, was die Geheimhaltung der Dokumente betraf. Einem Isländer, dem man besser keine sensiblen Aufgaben übertrug, gab er die Cables, damit er sich einmal Gedanken mache könne, »wie man die grafisch aufbereiten« könne.
Der Isländer gab dieses Material an die Presse weiter, unter anderem an die Journalistin Heather Brooke vom Guardian . Er sollte später zu seiner Rechtfertigung sagen, dass er sich gefragt habe, wie man den politischen Einfluss des Materials optimieren könne, und dass er daher »mit ein paar Leuten darüber sprechen musste«.
Dieser menschliche Faktor, der Wunsch, sein geheimes Wissen zu teilen und sich selbst dadurch ein wenig aufzuwerten, im Zweifel auch mit Hilfe der Presse, war uns nun alles andere als unbekannt. Man musste deshalb sehr vorsichtig sein mit der Weitergabe von Informationen. Hatten wir das nicht
Weitere Kostenlose Bücher