Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
Banks. «Hier kommt das ja glücklicherweise entschieden seltener vor als da unten im Süden.»
«Ich weiß», stimmte Hatchley zu. «Und ich hätte mir nicht träumen lassen, daß ich eines Tages noch froh sein würde, jemanden von da unten hier im Laden zu haben.»
Die letzte Enthüllung war offenbar doch zuviel für Hatchleys üblicherweise steife und verschlossene Natur. Etwas überstürzt machte er sich davon, bevor er noch mehr sagen konnte und sich vor seinem Boß dem Verdacht aussetzte, sentimental zu sein.
Lächelnd drehte sich Banks um und ging zurück in das Vernehmungszimmer. Trevor zog das übliche finstere Gesicht, und sein Vater wirkte sehr blaß. Zweifellos war er inzwischen zu der Auffassung gekommen - auch wenn er es vielleicht nie zugeben würde -, daß sein Sohn schuldig war. Die Reaktionen des Jungen hatten ihn von dessen Schuld überzeugt und für Banks jeden Zweifel ausgeräumt, daß seine ursprüngliche Vermutung zutraf: Die beiden Burschen hatten definitiv nichts zu tun mit dem Tod von Alice Matlock - alles übrige ging jedoch voll zu ihren Lasten.
Während Banks Platz nahm und sich gelassen eine Zigarette anzündete, wurde Trevor zunehmend unruhig. Hier und da an seinem lauwarmen Kaffee nippend, beobachtete Banks, wie Vater und Sohn unter der lastenden Stille immer nervöser und ängstlicher wurden, und wartete geduldig, bis er sie an dem Punkt hatte, wo er sie haben wollte. Schließlich wandte er sich um zu PC Craig, deutete auf Trevor und befahl:
«Führen Sie ihn ab, Constable. Verdacht auf Einbruch, Körperverletzung und Vergewaltigung, das wird wohl vorläufig reichen. Lassen Sie ihm sofort die Fingerabdrücke abnehmen. Was mich betrifft - ich hab fürs erste genug von seiner Gesellschaft.»
Graham Sharp unternahm einen letzten Versuch, sich ihm in den Weg zu stellen, als er den Raum verlassen wollte, aber Banks schob ihn sanft zur Seite mit den Worten: «Keine Sorge, dieser Constable hier wird Ihren Sohn schon über seine Rechte aufklären.»
Es war spät geworden, weit nach Mitternacht bereits, und die Stadt lag dunkel und still, bis auf das Geläut der Kirchturmuhr, das alle Viertelstunde ertönte. Banks war wieder in seinem Büro und schaute durch die Schlitze der Jalousien aus dem Fenster. Draußen war keine Menschenseele zu sehen; alle Lichter waren erloschen, bis auf die nachempfundenen alten Gaslaternen rund um den Marktplatz und die Schaufensterbeleuchtung eines Ladens zur Rechten, auf der anderen Seite der Market Street, in dessen Auslagen graziös geschwungene Kleiderpuppen kostspielig-schlichte Modelle präsentierten, nach der Art von Grace Kelly in Filmen wie Das Fenster zum Hof.
Banks griff erneut nach einer Zigarette, nahm sich noch etwas heißen Kaffee und widmete sich der obersten Mappe aus dem Aktenstapel auf seinem Schreibtisch. Sie enthielt Sandras Aussage, in der knappen, analytischen Prosa von Richmond, die nicht sehr viel von ihrer Person durchschimmern ließ und noch viel weniger von ihren Gefühlen. Banks konnte sich allenfalls vorstellen, was sie empfunden hatte, und mußte feststellen, daß es ihm nur allzu gut gelang. Als er las, wie man sie gezwungen hatte, sich vor die Leinwand zu stellen und sich auszuziehen, das Messer an der Haut («Wo genau?» hatte Richmond verlegen, aber sachlich gefragt), brannten Tränen in seinen Augen, und er kochte vor Zorn. Erbittert klappte er die Mappe zu und hieb mit der Faust auf den Deckel.
Immerhin, nach dem, was Sandra von Robin Allotts Äußerungen in Erinnerung hatte - und sie hatte gut daran getan, so ausführliche Angaben gemacht zu haben -, war er offensichtlich der gesuchte Mann. Außerdem schien er in der Tat zum Schluß zusammengebrochen zu sein, ohne seine Absicht durchführen zu können, und Banks erinnerte sich, daß Jenny einmal gesagt hatte, daß dieser Mann immer weiter und weiter gehen müsse, um seine Befriedigung zu finden, aber durchaus einen Zusammenbruch haben könne, bevor er ernsthaften Schaden anrichtete. Ob er in diesem Fall einen ernsthaften Schaden verursacht hatte oder nicht, blieb letztlich eine akademische Frage.
Es war ein langer Tag gewesen. Er gähnte, und seine Lider fühlten sich plötzlich schwer und rauh an. Höchste Zeit, daß er nach Hause ging.
Er stellte den Kragen seines Mantels hoch und trat hinaus auf die Market Street. Die kühle Oktoberluft war ausgesprochen erfrischend, aber Banks war jenseits aller wiederbelebenden
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