Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
bis die Bedienung - ein junges und ziemlich kleines Mädchen in einem rotgewürfelten Kleid - beflissen das beim Hereinkommen bestellte Teegebäck und den Kaffee servierte.
Die Beziehung zwischen dem Inspector und seinem Sergeant hatte sich in den sechs Monaten, die Banks nun in Eastvale war, langsam, aber stetig verändert. Zu Anfang hatte Hatchley ihn als Eindringling empfunden, zumal Banks aus der Großstadt kam und den Posten besetzte, auf den er selbst sich Hoffnungen gemacht hatte. Doch im Laufe der Zusammenarbeit hatte der Provinzler Hatchley den Scharfsinn des Inspector zu schätzen gelernt (wenn auch widerstrebend und mürrisch, weil ein Mann aus Yorkshire seine Hochachtung typischerweise hinter einem gewissen Sarkasmus und einem möglichst groben Benehmen verbirgt). Außerdem hatte er Banks' Bemühungen, sich den örtlichen Gegebenheiten anzupassen, zu würdigen gewußt.
Dieser Anpassungsprozeß vor allem hatte anfangs die größten Heiterkeitserfolge ausgelöst. Banks hatte sich hyperaktiv in die Arbeit gestürzt, kettenrauchend (das härteste Kraut von Capstan Füll) und den Adrenalinumsatz auf Hochtouren, wie er es von London her gewöhnt war. Doch im Lauf der Monate hatte er sich allmählich auf die langsamere Gangart in Yorkshire eingestellt. Nach außen hin wirkte er inzwischen ganz ruhig und entspannt, was Hatchley jedoch nicht darüber hinwegtäuschen konnte, daß er innerlich ständig unter Strom stand, seine Energie mühevoll zügelte und kanalisierte und nur manchmal in seinen dunklen Augen aufblitzen ließ. Er hatte immer noch seine Launen und neigte dazu, finster vor sich hin zu brüten, wenn er frustriert war. Aber das war eher ein gutes Zeichen, denn es führte zu Ergebnissen. Außerdem hatte er sich auf leichte Zigaretten umgestellt und rauchte nur noch mäßig.
Alles in allem fühlte sich Hatchley inzwischen weitaus wohler mit ihm, trotz der deutlichen Verschiedenheiten ihres Temperaments, wußte seine zupackende Art zu schätzen und die typisch nordenglische Ungezwungenheit im Umgang. Offensichtlich gab es wohl doch keinen so großen Unterschied zwischen einem Nordengländer und einem im Süden beheimateten Angehörigen der werktätigen Klasse. Wenn er also jetzt seinen Boß mit einem «Sir» ansprach, ließ sein Tonfall keinen Zweifel daran, ob er gerade befremdet oder verärgert war, und Banks hatte gelernt, diesen ironischen Unterton richtig zu deuten.
Darüber hinaus hatte er gelernt, die Vorurteile seines Sergeant hinzunehmen - wenn auch nicht zu billigen seine Hartnäckigkeit zu schätzen und die Selbstverständlichkeit, mit der er bei Bedarf einen verstockten Verdächtigen mit handfesten Drohungen zum Reden bringen konnte. Banks Methoden, jemanden unter Druck zu setzen, waren eher mentaler und subtiler Art, aber mitunter reagierten die Verdächtigen besser auf Hatchleys direkten Angang und den schroffen Ton seiner Stimme. Obwohl es bei den Vernehmungen nie zu Tätlichkeiten kam, konnte er die Kriminellen ohne weiteres glauben machen, daß die Tage der Behandlung mit dem Gummischlauch noch nicht vorüber waren. Tatsächlich ergänzten sie sich aufs beste bei den Verhören. Besonders verwirrend war es für die Verdächtigen, wenn das große und kräftige Rauhbein Hatchley plötzlich milde und onkelhaft wurde und statt dessen Banks - der kaum groß genug war, um einen anständigen Polizisten abzugeben - die Stimme erhob.
«Hol's der Teufel, ich kann einfach nicht begreifen, warum ich so viel Zeit mit einem Irren vertrödeln soll, der nichts weiter tut, als sich ein paar flotte Höschen anzugucken», meinte Hatchley, nachdem sie sich beide eine Zigarette angezündet hatten und an ihrem Kaffee nippten.
Banks seufzte und fragte sich zum wiederholten Mal, wie es möglich war, daß er sich als gemäßigter Sozialist in Hatchleys Gegenwart immer wie ein Scheißliberaler vorkam.
«Weil die Damen es eben nicht gern haben, wenn man sie anguckt», meinte er knapp.
Hatchley grunzte nur. «Wenn Sie gesehen hätten, was diese Carol Ellis neulich am Samstag abend im Oak anhatte, würden Sie das nicht sagen.»
«Das ist ihre Sache, Sergeant, und ich darf doch wohl annehmen, daß sie zumindest das Allernotwendigste anhatte. Andernfalls wäre es Ihre Pflicht gewesen, sie wegen Unzucht in der Öffendichkeit hinter Schloß und Riegel zu stecken.»
«Wie auch immer, was hat das mit Unzucht zu tun?» verteidigte sich Hatchley.
«Jeder hat das Recht auf
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